Nordkorea nutzt die Gunst der Stunde für einen Raketenabschuss: Die USA sind mit dem russischen Krieg vollauf beschäftigt.

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Nach fünf Jahren Pause hat Nordkorea wieder eine Mittelstreckenrakete weit in den Pazifik geschossen. Eine Gefahr für den Nachbarn Japan bestand zwar nicht: Die Hwasong-12 flog auf einer Parabelbahn mit einem Scheitelpunkt in fast tausend Kilometer Höhe und stürzte nach 4.600 Kilometer ins Meer. Selbst bei einem Auseinanderbrechen wären die meisten Trümmer ins Meer gefallen. Aber Nordkorea hat den zivilen Flugverkehr unnötig gefährdet, weil man den Start erneut nicht angekündigt hatte.

Vordergründig lassen sich dieser Raketenschuss sowie die übrigen vier Waffentests in den vergangenen zehn Tagen als Reaktion Nordkoreas auf ein gemeinsames Seemanöver von Südkorea und den USA erklären. Ab Freitag übten Japan, Südkorea und die USA nach fünf Jahren auch wieder zusammen die U-Boot-Abwehr. Nordkorea wirft den USA regelmäßig vor, durch solche Militärmanöver einen Angriff vorzubereiten.

In Wirklichkeit dienten die alliierten Manöver dem Regime von Kim Jong-un als wohlfeile Ausrede. Allein heuer hat dieses mit dem Abfeuern von 40 ballistischen Raketen das Testverbot des UN-Sicherheitsrates systematisch ignoriert. Laut Südkoreas Geheimdienst plant Nordkorea zudem einen unterirdischen Atomtest und den Start einer U-Boot-Rakete.

Günstiger Moment

Dabei nutzt Kims Regime die Gunst der Stunde. Die USA sind mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und ihrer globalen Rivalität mit der aufstrebenden Weltmacht China und dem Brennpunkt Taiwan vollauf beschäftigt. Das ermöglicht es Nordkorea, nach den Entspannungsversuchen des vorigen US-Präsidenten Donald Trump in den Modus des Kalten Krieges zurückzuschalten. Der Diktator von Pjöngjang fühlt sich gerade stark wie nie zuvor – seine Partner sind die US-Gegner China, das Nordkorea als Pufferstaat braucht, und dessen "Freund" Russland. Logischerweise verteidigt Nordkorea die russischen Annexionen von ukrainischem Gebiet.

Kim setzt seine Aufrüstung mit Atomwaffen und Raketen ungeniert fort, um das US-Festland irgendwann direkt bedrohen zu können. Ziel: Die USA sollen Nordkorea als Atommacht akzeptieren und die UN-Sanktionen aufheben. Neue Strafmaßnahmen braucht Kim nicht zu fürchten, China und Russland werden sie im Sicherheitsrat blockieren. Schadenfroh schauen Xi Jinping und Wladimir Putin zu, wie die USA, Japan und Südkorea der nordkoreanischen Strategie nichts entgegenzusetzen haben. Wenn diese Staaten einen heißen Krieg auf der Halbinsel vermeiden wollen, müssen sie Kims Treiben hilflos zuschauen. (Martin Fritz aus Tokio, 4.10.2022)