Veranstalter:innen müssten deutlich machen, dass es auf Festen wie der "Kaiser Wiesn" keinerlei Toleranz für Übergriffe gibt, sagt Ursula Kussyk.

Foto: Christian Fischer

55 Sexualdelikte, davon drei Vergewaltigungen: Das ist die Bilanz der sexualisierten Gewalt beim heurigen Münchner Oktoberfest, das am Montag nach 17 Tagen zu Ende gegangen ist. Wie viele Übergriffe und sexualisierte Gewalt abseits der angezeigten und geahndeten Delikte passierten, bleibt wie so oft bei sexualisierter Gewalt im Dunkeln. Allerdings könnte auch die Anzeigenbereitschaft gestiegen sein. Nach zwei Jahren Pause für das Oktoberfest sind die registrierten Sexualdelikte von 47 auf 55 gestiegen – was auch mit einer höheren Anzeigenbereitschaft zu tun haben könnte.

Kellnerinnen begrapschen und offen sexistische oder rassistische Sprüche gehören inzwischen auch in den Bierzelten des größten Volksfests nicht mehr ganz selbstverständlich dazu. Zumindest wenn es öffentlich oder halböffentlich passiert. So gab Günter Steinberg, Wirt des Wiesn-Zelts des staatlichen Hofbräuhauses, bei einem Wiesn-Talk-Format damit an, "bewusst von Mohrenköpfen" zu reden, und sinnierte darüber, womit sich schwarze Mitarbeiter:innen wohlfühlen und was sie lustig finden würden. Nach viel Kritik entschuldigte er sich dafür.

"Günstige" Gelegenheit

Auch um sicheres Feiern sind inzwischen vereinzelt Initiativen bemüht. Die Aktion "Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*" will für Übergriffe sensibilisieren und bietet vor Ort eine Anlaufstelle. Sowohl Besucher:innen also auch Menschen, die auf dem Oktoberfest arbeiten, können sich dort hinwenden. Beim heurigen Oktoberfest betreute das Team 426 Fälle. Etwa 80 Prozent der Klientinnen waren unter 30 Jahre alt, die älteste Frau war 70, das jüngste Mädchen 14 Jahre alt. Wobei sich nicht alle wegen sexualisierter Gewalt meldeten, sondern auch wegen Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauchs. In sechs Fällen bestand der Verdacht auf die unwissentliche Einnahme von K.-o.- Tropfen. "Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*" versucht auch die Zivilcourage zu stärken und fordert dazu auf, sich einzumischen, wenn man Gewalt beobachtet.

"Solche Veranstaltungen bieten viele günstige Gelegenheiten für Männer, die sexuell übergriffig sind", sagt Ursula Kussyk, Leiterin der Frauenberatung bei sexueller Gewalt in Wien. Schmusende und streitende Paare, Feierlaune, laute Musik, viel Alkohol und andere Substanzen: All das, inmitten einer riesigen Menschenmenge, macht es oft schwer einzuschätzen, ob man sich einmischen soll oder nicht. Die Grenzen sind oft schwerer zu erkennen und zu ziehen inmitten einer feuchtfröhlichen Feierlaune, sowohl für Betroffen als auch für jene, die womöglich etwas beobachten. Und wenn jemand alkoholisiert und nicht mehr voll handlungsfähig sei, "wird das sehr wohl ausgenützt", sagt Kussyk. Solange niemand klar und laut Nein schreie, werde niemand reagieren – "außerdem weiß man in so einem Umfeld nicht, wer einschreitet".

Die Gewaltschutzexpertin hält es für zentral, Geld in die Hand zu nehmen und ein gutes Konzept zur Sicherheit zu erarbeiten. Nichts brächten hingegen "halbgare Geschichten, etwa mit Securitys, die selbst belästigen – das hatten wir auch schon". Kussyk meint damit den Fall, dass bei einer Maturareise 2021 in Kroatien Security-Mitarbeiter übergriffig wurden.

Hinweise auf Null Toleranz

In Wien findet noch bis 9. Oktober die "Kaiser Wiesn", die Wiener Variante des Oktoberfests, im Prater statt. Auf Nachfrage bei den Verantwortlichen heißt es, man habe mit "Sicherheitsexperten ein umfangreiches Sicherheits- und Präventionskonzept entwickelt, und Security -Mitarbeiter wurden explizit auf den Umgang mit sexueller Belästigung geschult, sie sind die erste Anlaufstelle für Betroffene". Auch das Gastronomiepersonal sei angewiesen worden, besonders achtsam zu sein. Es sei wichtig zu wissen, wonach Securitys Ausschau halten müssen, sagt Kussyk. Auch weibliche Securitys wären wichtig, und dass jene, die helfen, klar zu erkennen sind, etwa mit auffallenden Farben.

Bei der "Kaiser Wiesn" tragen die Securitys gelbe und grüne Warnwesten, und es gibt auch weibliches Sicherheitspersonal. Auch eine Ombudsstelle gibt es, allerdings wird auf der Homepage auf diese für "Wünsche, Beschwerden" oder den Fall, dass man etwas verloren hat, hingewiesen. Ausdrückliche Verweise auf Prävention und Hilfe bei sexualisierten Übergriffen seien aber zentral, sagt Kussyk. Die Veranstalter:innen müssten deutlich klar machen, dass es auf dem Fest keinerlei Toleranz für Übergriffe gebe und diese auch umgehend geahndet würden, sagt Kussyk – beispielsweise auf den Tickets zu den Veranstaltungen oder sogar auf Werbeplakaten. (Beate Hausbichler, 5.10.2022)