Es ist eine Diagnose, die für das Medizinstudium an der Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU) verheerend sein könnte: In einem 120-seitigen Gutachten der Akkreditierungsstelle AQ Austria, das vor drei Wochen dem STANDARD und anderen Medien zugespielt wurde, üben Fachleute scharfe Kritik: Der Studiengang sei so mangelhaft, dass die AQ Austria der Uni die Zulassung dafür entziehen sollte. In anderen Bereichen müsse die SFU in den nächsten ein bis zwei Jahren dutzende Auflagen erfüllen. Doch noch ist das Verfahren offen.
Frage: Was kritisieren die Gutachterinnen und Gutachter konkret?
Antwort: Die Fachleute aus Österreich, Deutschland und der Schweiz bemängeln, dass sich die Studierendenzahl in den vergangenen Jahren verdreifacht hat, der Personalstand aber nicht erhöht wurde. Zudem kooperiert die SFU zwar mit mehreren Krankenanstalten, hat jedoch keine Universitätsklinik, was einen einheitlichen Ausbildungsstandard schwierig mache. Auch die Räumlichkeiten reichen laut Gutachten nicht mehr aus. Kurz: Die Uni ist zu schnell gewachsen.
Frage: Wenig Personal, schlechte Infrastruktur: Das trifft wohl auch auf viele öffentliche Unis zu?
Antwort: Insider sagen hinter vorgehaltener Hand, dass so manche öffentliche Fakultät den strengen Akkreditierungsprozess für Privatunis nicht überstehen würde. Allerdings ist es nicht Aufgabe der Gutachter, die geprüfte Privatuni mit öffentlichen Unis zu vergleichen. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Kriterien der Akkreditierungsverordnung für Privatunis erfüllt sind. Abgesehen davon erwartet sich jemand, der 150.000 Euro für ein Studium hinblättert, wohl mehr von der Ausbildung als an einer öffentlichen Uni.
Frage: Gibt es auch Lob für die SFU?
Antwort: In dem Gutachten wurde die gesamte Uni durchleuchtet. Wenig bis keine Kritik findet sich an den Studiengängen Psychologie und Jus. Bei Psychotherapiewissenschaft fällt die Bilanz gemischt aus. Für Medizin gibt es nur vereinzelt Lob: So steche positiv hervor, dass die Uni gemeinsam mit den Wiener Friedhöfen ein Körperspenderprogramm ins Leben gerufen habe. Insgesamt seien die Probleme beim Masterstudium aber so gravierend, dass sie in den vorgegebenen Fristen "nicht behebbar" seien.
Frage: Was entgegnet die Uni?
Antwort: Die Uni will auf die Kritikpunkte auch drei Wochen nach ihrem Publikwerden nicht öffentlich eingehen. Sie verweist darauf, dass das Akkreditierungsverfahren noch läuft, so hält das auch die AQ Austria. Uni und Behörde sind über den Leak unglücklich und dürften ihre öffentlichen Statements abstimmen. So leitete die SFU etwa ihre Antworten auf Fragen des STANDARD an die Behörde weiter.
Frage: Wie geht das Akkreditierungsverfahren weiter?
Antwort: Die SFU hatte in einer verlängerten Frist bis Ende September Zeit, die gutachterliche Kritik zu entkräften. Auf Basis dieser Unterlagen trifft das Board der AQ Austria eine Entscheidung. Dessen nächste und wohl maßgebliche Sitzung findet im November statt.
Frage: Was passiert, sollte die Akkreditierung entzogen werden?
Antwort: Die SFU müsste das Studium einstellen – aber nicht sofort: Sie könnte gegen den Bescheid Beschwerde einlegen und somit zum Bundesverwaltungsgericht gehen. Bis zu dessen Entscheidung – in der Regel nach sechs bis zwölf Monaten – dürfte der Lehrbetrieb normal weiterlaufen. In der Zwischenzeit könnte die Uni einen neuen Akkreditierungsantrag stellen. Ob sie das Studium in diesem Fall ohne Unterbrechung weiterführen könnte, ist aber fraglich, weil Akkreditierungsverfahren circa neun Monate dauern.
Frage: Gab es in der Vergangenheit bereits vergleichbare Fälle?
Antwort: Ja, mehrfach. 2003 entzog die Akkreditierungsstelle der International University Vienna die Zulassung. 2006 lehnte die Behörde die Verlängerung der Akkreditierung der Imadec University ab. Einen Fall mit Ähnlichkeiten zum aktuellen gab es 2010: Damals wurde der Umit in Innsbruck die Akkreditierung für das Doktoratsstudium Gesundheitswissenschaften entzogen. Begründung: Die Betreuungsverhältnisse seien angesichts der hohen Studierendenzahl ungenügend gewesen. Zudem seien internationale Standards nicht erfüllt worden. Später überarbeitete die Uni das Studium und ließ es neu akkreditieren.
Frage: Was passiert in solchen Fällen mit den Studierenden?
Antwort: Studierende, die sich bereits im Studium befinden, könnten im Zuge eines "teach-out" jedenfalls fertigstudieren. Im Fall der SFU wären das rund 600 Studierende.
Frage: Würde ein Studienabschluss der SFU dadurch an Wert verlieren?
Antwort: Als Privatstudentin sei man in Spitälern immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert, erzählt eine SFU-Studentin, die kurz vor dem Abschluss steht und derzeit Bewerbungen schreibt. Wichtiger seien bei der Jobsuche aber ohnehin Engagement und Praktika. Dass der Abschluss an Wert verlieren könnte, ist auch aus einem anderen Grund unwahrscheinlich: Medizinerinnen und Mediziner sind am Arbeitsmarkt heiß begehrt. Der hohe Bedarf wird durch die anstehende Pensionierungswelle weiter verstärkt. Gleichzeitig sind die Ausbildungsplätze an öffentlichen Unis stark limitiert. Beides hat in den letzten zwanzig Jahren die Gründung und den Ausbau von medizinischen Privatunis befördert.
Frage: Wem gehört denn überhaupt die Sigmund-Freud-Uni?
Antwort: Sie ist in Privatbesitz und gehört zu 50 Prozent ihrem Rektor Alfred Pritz, der auch Präsident des World Council for Psychotherapy ist. Zu jeweils 25 Prozent sind Vizerektorin Jutta Fiegl und der Kanzler der Uni, Heinz Laubreuter, beteiligt. 2020 erwirtschaftete das Unternehmen ein Ergebnis von zwölf Millionen Euro vor Steuern. Andere medizinische Privatunis gehören teils den Ländern oder Stiftungen. (Jakob Pflügl, 10.10. 2022)