Der Zugverkehr in Europa soll wachsen. Um Klimaziele zu erreichen, müssen mehr Güter auf die Schiene. Erfreulicherweise nimmt im Personentransport auch die Zahl der Schlafwagenzüge wieder zu. Gerade im Nachtverkehr müssen die Züge künftig aber auch leiser werden. EU-Pläne sehen etwa vor, dass auf bestimmten hochfrequenten Routen ab 2024 nur noch Züge verkehren dürfen, die die strengeren "Quieter routes"-Vorgaben der EU-Eisenbahnagentur (ERA) erfüllen.

Zuglärm als Ärgernis

Besonders viel Aufholbedarf gibt es dabei bei Güterzügen, deren Wagone oft schon viele Jahrzehnte im Einsatz stehen. Beispielsweise dürfen auf diesen Strecken dann keine Fahrzeuge mehr mit veralteten Grauguss-Bremsen benutzt werden. An ihre Stelle treten Kompositbremsen, die die Radoberflächen nicht mehr aufrauen und damit zu deutlich weniger Rollgeräuschen führen.

Ein neues Messsystem soll helfen, besonders laute Wagone schnell aus dem Verkehr zu ziehen.
Foto: AP / Ronald Zak

Maßnahmen wie diese werden die Züge zwar insgesamt leiser machen. Andere Fahrgeräusche, die durch Schäden an den Zügen entstehen, heben sich dann aber umso mehr ab. Dazu gehört etwa das charakteristische Poltern von Rädern, die durch ihre lange Einsatzzeit schon Abflachungen aufweisen, oder das nervenzehrende Bogenkreischen, das bei älteren Garnituren in engeren Kurven auftritt – alles Dinge, die Menschen an Bahnstrecken leicht aus dem Schlaf reißen können.

Um auf solche Lärmquellen reagieren zu können, müssen die Bahnbetreiber die besagten Fahrzeuge genau identifizieren können. Ein Forschungsprojekt, das die FH Technikum Wien gemeinsam mit dem auf Lärmschutztechnologien spezialisierten Unternehmen Psiacoustic umsetzt, möchte die Voraussetzungen dafür schaffen.

KI ermöglicht gezielte Wartung

"Wir entwickeln eine auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Analysemethode, die bei vorbeipolternden Zügen genau jene Achsen identifiziert, die für die unangenehme Geräuschkulisse verantwortlich sind. Bahnbetreiber können dank dieser Daten dann gezielte Wartungs- und Reparaturmaßnahmen durchführen", fasst Projektleiter Matthias Blaickner vom Competence Center Artificial Intelligence & Data Analytics der FH Technikum Wien zusammen.

Mittel für das Projekt ADSiM (Automatische Detektion von Störeinflüssen im Monitoring von Bahnlärm unter Anwendung von KI) kommen vom Klimaschutzministerium, das das Forschungsvorhaben im Rahmen des Programms "Mobilität der Zukunft" der Förderagentur FFG unterstützt.

Auch die ÖBB bringen sich in die Messplattform ein.
Foto: IMAGO/Volker Preußer

Ausgangspunkt des Forschungsprojekts ist eine bestehende Messplattform, die Psiacoustic in Kooperation mit der ÖBB Infrastruktur entwickelt hat. "Unser Acramos-System erfasst vollautomatisch Zugvorbeifahrten und ordnet den einzelnen Achsen Pegel zu. Sensoren erkennen, wann es Radkontakt mit dem betreffenden Gleissegment gibt. Die Geräusche des entsprechenden Zeitfensters werden aufgenommen und abgespeichert", erklärt Patrick Suppin von Psiacoustic. Aus dem zeitlichen Muster der Achsvorbeifahrten lässt sich auch ableiten, um welche Wagontypen es sich jeweils handelt.

Viel Potenzial

Schon bisher wurden auf Basis der Daten Kennwerte errechnet, mit denen etwa die Lärmentwicklung bei verschiedenen Zügen vergleichbar wurde. In einem früheren Projekt widmete man sich zudem bereits der Analyse jenes Lärms, der durch Flachstellen an Rädern entsteht. "Die künstliche Intelligenz soll nun helfen, diese Geräusche auch automatisiert erkennen zu können.

Gleichzeitig soll das System helfen, die Daten selbst zu überprüfen", betont Florian Biebl, ebenfalls von Psiacoustic. "Die Messsysteme sind monatelang den rauen Umweltbedingungen an den Gleisen ausgesetzt. Messfehler müssen mühevoll per Hand herausgesucht werden. Das soll künftig ebenfalls die KI erledigen." Gegebenenfalls könnte dem System sogar beigebracht werden, dass es Defekte voraussagt – etwa wenn es lernt, dass ein bestimmtes Knacken auf einen künftigen Mikrofonausfall hindeutet.

Aus der mittlerweile langjährigen Messpraxis stehen bei Psiacoustic umfassende Datenbanken zu verschiedenen Achsengeräuschen zur Verfügung. Viele davon wurden bereits analysiert und den richtigen Kategorien zugeordnet – eine gute Ausgangslage für die im Projekt vorgesehene Nutzung von Algorithmen für maschinelles Lernen. Sie benötigen große Mengen an Trainingsdaten, um wiederkehrende Muster verlässlich zu erkennen.

Fremdgeräusche erkennen

"Wird der trainierten KI dann eine neue Zugaufnahme unterbreitet, kann jedes Quietschen oder Poltern den trainierten Fremdgeräuschen zugeordnet werden. Auch nicht erkannte, auffällige Muster werden aussortiert, um sie manuell zu analysieren und das System damit letztendlich besser zu machen", erklärt FH-Forscher Blaickner. Dass es sich beim Trainingsgegenstand um akustische Daten handelt, mache grundsätzlich keinen Unterschied zu anderen Informationstypen.

"Für die KI existiert nur eine Matrix von Datenpunkten", veranschaulicht es der FH-Forscher. "Auf dieser grundlegenden Ebene arbeiten alle Machine-Learning-Systeme gleich. "Den Unterschied macht die Frage aus, was diese Datenpunkte darstellen – im Fachjargon nennt man diese Bedeutungsebene das Domainwissen."

Im Zuge des Projekts müssen nun zuerst die historischen Geräuschdaten aufbereitet werden, um sie für ein gezieltes Training verwenden zu können. Nachdem die künstliche Intelligenz in der Messplattform von Psiacoustic implementiert ist, wird das System zuerst in Simulationen, dann in Feldtests erprobt. In einigen Jahren könnten die Messstationen mit den neuen Fähigkeiten dann für ruhigere Nächte an den heimischen Bahntrassen sorgen. (Alois Pumhösel, 15.10.2022)