EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen signalisierte am Mittwoch Bereitschaft für einen Gaspreisdeckel.

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Nach der völkerrechtswidrigen Annexion von vier Teilgebieten der Ukraine und der Teilmobilisierung der russischen Armee verschärft die Europäische Union nun das Tempo bei wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegen die Führung in Moskau. In Brüssel wurden am Mittwoch von den Ständigen Vertretern der 27 Mitgliedsstaaten die rechtlichen Grundlagen für das insgesamt achte Sanktionspaket außer Streit gestellt.

Darin enthalten sind Maßnahmen, die vor allem die Öleinnahmen des Kreml empfindlich treffen sollen. So rasch wie möglich soll es eine auch für Drittstaaten geltende Preisdeckelung für Öl geben, das von Russland exportiert wird, in Abstimmung mit entsprechenden Beschlüssen der G7-Staaten. So soll verhindert werden, dass der Brennstoff etwa über den Umweg Indien auf die Märkte gelangt.

Im Grundsatz hatten die EU-Länder bereits vor dem Sommer beschlossen, ab 5. Dezember selbst überhaupt kein Öl mehr zu importieren. Nun sollen Maßnahmen vorgezogen werden. Zypern, Malta und Griechenland, die über große Öltransportkapazitäten verfügen, sollen entschädigt werden.

Vorschläge für Obergrenzen

Daneben gibt es auch noch Sanktionen in den Bereichen Technologie, Industrieprodukten, Ersatzteile für Flugzeuge. Es wird weitere Strafmaßnahmen gegen russisches Führungspersonal geben, das an den Annexionen beteiligt war, aber auch gegen jene, die EU-Sanktionen unterlaufen.

Zum ersten Mal zeigte sich Präsidentin Ursula von der Leyen seitens der Kommission auch bereit, über Vorschläge für Obergrenzen beim Gasgroßhandelspreis zu reden. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten will das. Die Kommission hatte Sorge, dass dies zu Versorgungsengpässen in einigen von russischem Gas besonders abhängigen Staaten führen könnte. Das dreht sich gerade.

Auf jeden Fall wird die Energie- und Preiskrise neben dem Kriegsgeschehen und Drohungen von Präsident Wladimir Putin eines der zentralen Themen bei einem informellen Sondergipfel der EU-27 sein, der bis Freitag in der tschechischen Hauptstadt stattfindet.

Neue 44er-Gemeinschaft

Bereits am Donnerstag kommt es zu einer Premiere: Die Staats- und Regierungschefs konferieren mit Kollegen aus weiteren 17 europäischen Nachbarstaaten zur Lage. Das Format mit insgesamt 44 Ländern nennt sich "Europäische Politische Gemeinschaft" (EPG). Es wurde im Frühjahr von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen, als Plattform für alle Länder des Kontinents, egal ob sie Mitglieder der EU sind oder Beitrittskandidaten – oder völlig unabhängig. So wird etwa auch die britische Premierministerin Liz Truss teilnehmen, ungewöhnlich nach dem EU-Austritt des Landes im Jänner 2020.

Macrons Idee war, dass es unter den demokratischen Staaten angesichts der russischen Bedrohung zu einer engeren Abstimmung kommen sollte, über den EU-Gesetzesrahmen hinaus. Experten bezweifeln jedoch, dass man über einen bloßen "Diskussionsgipfel" hinauskommen wird. Wenn sich 44 Regierungschefs für ein paar Stunden zusammensetzen, kann jeder nur ein paar Minuten reden.

Aber wichtiger dürften wohl die informellen Gespräche am Rande sein, die Teilnehmerschaft reicht von den Westbalkanstaaten, Aserbaidschan und Armenien, Ukraine bis hin zu Liechtenstein, Norwegen und der Türkei.

Das "Erfinden" neuer Formate bei großen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der EU ist nicht ganz neu. Bereits im Jahr 2000 hatte es den Versuch der Gründung einer "Europäischen Konferenz" gegeben, um die Folgen der Veränderungen durch anstehende Euro-Einführung und EU-Erweiterung auf eine breitere Basis zu stellen.

Beim EU-Gipfel in Nizza kamen sogar 50 Staats- und Regierungschefs aus Europa mit ihren Außenministern zusammen. (Thomas Mayer aus Prag, 5.10.2022)