Seit bald drei Wochen wird im Iran demonstriert – so auch am vergangenen Samstag in Teheran. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die strengen Bekleidungsvorschriften.

Foto: EPA/STR

Am 13. September geschah, was der Auslöser einer landesweiten Protestwelle im Iran werden sollte: Die 22-jährige Kurdin Mahsa "Jina" Amini wurde wegen "unangemessener Kleidung" von der Sittenpolizei in Teheran festgenommen, drei Tage später starb sie. Die Polizei weist Misshandlungsvorwürfe zurück, Augenzeugen berichten von Schlägen gegen den Kopf. Seit Bekanntwerden ihres Tods gehen im Iran jeden Tag tausende Menschen auf die Straße.

Forderungen Die Proteste richteten sich zunächst gegen die strengen Bekleidungsvorschriften, Frauen nahmen ihre Kopftücher ab, verbrannten sie, schnitten sich die Haare ab. Sie wehrten sich gegen den Kopftuchzwang und gegen die Kontrolle des Regimes über den weiblichen Körper. Mittlerweile gehen die Proteste aber weit über Bekleidungsvorschriften hinaus. Die Interessen Einzelner mögen differieren, sie haben aber ein gemeinsames Ziel: den Sturz des Systems.

Wer und wo Mahsa Amini war sunnitische Kurdin (ihr kurdischer Name war "Jina"), sie gehörte also einer Minderheit an, die vom khomeinistischen System immer unterdrückt wurde. Die Proteste brachen zuerst in ihrer Heimatstadt Saghez aus, griffen dann schnell auch auf Teheran, Isfahan und andere Städte über. Sie finden aber nicht nur in Städten statt: In Kurdistan und Belutschistan sind die Proteste nicht nur besonders stark, es gibt auch besonders viele Opfer und Verhaftete. Die Hotspots liegen derzeit an den Universitäten, der Protest zieht sich aber durch viele Schichten und Altersgruppen. Gruppen, die das Regime in der Vergangenheit immer wieder gegeneinander ausgespielt hat, protestieren nun gemeinsam gegen das System.

Reaktion Das Regime geht gewaltsam gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten vor, Menschenrechtsorganisationen sprachen schon vergangene Woche von mehr als 130 Toten. Amnesty International zufolge setzen die Behörden absichtlich tödliche Gewalt zur Unterdrückung der Proteste ein.

Vergleich Immer wieder kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu landesweiten Protesten gegen das Regime, etwa 1999, 2009, 2017 oder 2019. Immer wieder hat man gedacht, dass die Islamische Republik nicht mehr lange bestehen werde, ernsthaft in Gefahr war sie Fachleuten zufolge aber nie. In ihrer Kontinuität betrachtet, höhlen sie das System aber Stück für Stück aus, und derzeit sind die Proteste so stark wie schon lange nicht mehr. Hinzu kommt, dass sich der Iran derzeit in einer Phase des Umbaus befindet: Ali Khamenei, höchster Vertreter des Regimes, ist schwer krank und wird wohl nicht mehr lange an der Macht bleiben. Sein Abgang wird wahrscheinlich institutionelle Veränderungen der Führung bringen. Eine kritische Zeit – in die die Proteste hineinfallen könnten. (Noura Maan, 5.10.2022)