Liz Truss will wirtschaftliches Wachstum erreichen – nur wie, hat sie nicht verraten.

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"Wachstum, Wachstum, Wachstum" – mit diesen drei Prioritäten hat Liz Truss ihr Bekenntnis zu einer angebotsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik für Großbritannien bekräftigt. Zum Abschluss des konservativen Parteitags in Birmingham sprach die Premierministerin am Mittwoch von stürmischen Zeiten für die Insel, denen sie mit energischen Entscheidungen begegnen wolle: "Der Status quo ist keine Option."

Die erst seit einem Monat amtierende 47-Jährige zeichnete das Bild eines Kampfes zwischen ihren Politikideen und einer "Antiwachstumskoalition" aus den Oppositionsparteien, militanten Gewerkschaften und Umweltschützern. Leben hauchten Truss' Bild zwei Greenpeace-Frauen ein, welche die Ansprache mit lautstarkem Protest gegen Fracking, also die Förderung von Schiefergas, auf der Insel unterbrachen.

Für das Ziel einer kontinuierlich um 2,5 Prozent wachsenden Wirtschaft werde sie Unternehmern den Weg frei machen, unnötige EU-Vorschriften beseitigen und die Planungszeit von Bauvorhaben verkürzen. Details dazu blieb die Regierungschefin in ihrer 35-minütigen Rede schuldig.

"Zuhören und lernen"

Ein umfassendes Paket von schuldenfinanzierten Steuersenkungen im Gesamtwert von 45 Milliarden Pfund (51,5 Milliarden Euro) hatte Ende September für erhebliche Unruhe an den Finanzmärkten gesorgt; das Pfund fiel in den Keller, Kreditzinsen für Häuslbauer schnellten in die Höhe. Finanzminister Kwasi Kwarteng musste Anfang der Woche die Senkung des Spitzensteuersatzes rückgängig machen, was Truss als "Zuhören und Lernen" für ihre Regierung in Anspruch nahm.

Eine Entschuldigung für die Turbulenzen blieb aus. Die Staatsschuld lag dem Statistikamt ONS zufolge zuletzt bei 102,6 Prozent, mit steigender Tendenz. Deutlich mehr als andere Staaten der G7-Gruppe ist Großbritannien von auswärtigen Geldgebern abhängig und daher den Finanzmärkten stärker ausgesetzt.

Uneinigkeit im Kabinett

Dass die Premierministerin kaum Details zukünftiger Vorhaben erwähnte, dürfte mit der öffentlich ausgetragenen Uneinigkeit in ihrem Kabinett zu tun haben. Unter anderem geht es dabei um die Frage, ob zur Haushaltsentlastung die Staatshilfen für Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose inflationsbereinigt gekürzt werden sollen. Dafür werde sich in der Unterhausfraktion "wahrscheinlich keine Mehrheit" finden, kündigten konservative Sozialpolitiker an.

Ihre Entschlossenheit basiert nicht zuletzt auf Umfragen, wonach die Briten weitere Kürzungen im Sozialbereich für falsch halten. Im Parteienvergleich liegen die Konservativen je nach Meinungsforscher zwischen 15 und 33 Punkten hinter der oppositionellen Labour Party – im britischen Mehrheitswahlrecht käme dies bei der nächsten Wahl einem Erdrutsch gleich, der bis zu 200 Parlamentariern das Mandat und Truss die Macht kosten würde.

Rascher Abgang

Am Ende ihrer Rede verließ die Premierministerin rasch die Bühne sowie den Birminghamer Kongresssaal, als habe sie es eilig, den Parteitag hinter sich zu bringen. Schon tags zuvor hatten viele Teilnehmerinnen mit den Füßen abgestimmt und das Jahrestreffen vorzeitig verlassen; dazu trug ein Warnstreik bei, der am Mittwoch die Eisenbahnen auf der Insel weitgehend lahmlegte.

Arbeitskämpfe stehen in diesem Herbst auch in anderen Branchen bevor, nicht zuletzt erwägen sogar Pfleger und Krankenschwestern im Nationalen Gesundheitssystem NHS für höhere Löhne zu streiken. Einvernehmliche Lösungen sind nicht in Sicht.

Annäherung mit Brüssel

Hingegen scheint es im langwierigen Streit um den wirtschaftlichen Status von Nordirland eine Annäherung zwischen Brüssel und London gegeben zu haben. Truss hatte im Frühsommer in ihrer Funktion als Außenministerin und Brexit-Chefverhandlerin ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem die britische Regierung das sogenannte Nordirland-Protokoll aushebeln könnte. Dies wäre ein klarer Bruch des völkerrechtlich verbindlichen EU-Austrittsvertrages. Kommende Woche sollte das Gesetz erneut im Parlament verhandelt werden.

Offenbar gibt es nun aber neue Gespräche über mögliche Lösungen für den Konflikt, der zum Wirtschaftskrieg mit dem Binnenmarkt führen könnte – ein Szenario, das sich weder Brüssel noch die ohnehin Brexit-geschädigte Insel leisten können. Geklärt werden sollen dabei zukünftige Kontrollen von Gütern, die zwischen dem britischen Teil Irlands und der Hauptinsel Großbritannien hin- und hergehen.

Eine Aufweichung der bisherigen Regeln, die der Integrität des Binnenmarktes dienen sollen, fordern vor allem die London-treuen Unionisten von der erzkonservativen DUP. Die dortige Regionalregierung ist ohne DUP-Mithilfe lahmgelegt, was die prekäre wirtschaftliche Lage verschlimmert. (Sebastian Borger aus London, 5.10.2022)