Begleitet von schwer bewaffneten Justizwachebeamten trat Argjend G. am Dienstagvormittag in die Mitte des Saals 303 im Wiener Straflandesgericht. Der 24-Jährige trug eine Brille, eine dicke Adidas-Jacke und Sportschuhe – der Bart war ordentlich gestutzt.

Auf den ersten Blick deutete rein gar nichts darauf hin, dass der gebürtige Nordmazedonier mutmaßlich ein enger Kontaktmann jenes Jihadisten K. F. gewesen sein soll, der am 2. November 2020 in Wien einen Terroranschlag verübt, dabei vier Menschen getötet und etliche weitere verletzt hatte.

Im Gegensatz zu sechs anderen Männern im Umkreis des Terroristen wird Argjend G. nicht wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, sondern wegen Verbrechen einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation. Das ist auch der Grund, warum sein Verfahren getrennt vom Terrorprozess geführt am 18. Oktober geführt wird.

Argjend G. wird vorgeworfen, mutmaßlich eine Wohnung in St. Pölten angemietet zu haben, um junge, teils amtsbekannte Jihadisten zu bilden und zu vernetzen. Auch der spätere Attentäter war in der Wohnung zugegen – zuletzt angeblich acht Tage vor dem Anschlag.

Argjend G. (24) sitzt seit bald zwei Jahren in Isolationshaft. Bei der Gerichtsverhandlung war ihm zumindest das nicht anzumerken.
Foto: Christian Fischer

Darüber hinaus soll Argjend G. einem deutschen Jihadisten dabei geholfen haben, radikalislamische Literatur zu übersetzen, zu korrigieren und zu vertreiben. In der St. Pölter Wohnung stießen Ermittler auf eine umfangreiche Bibliothek mit salafistischer Literatur. Auch einschlägige Chatnachrichten werden Argjend G. vorgehalten.

Der Angeklagte bekannte sich nach dem Plädoyer seines Verteidigers, Sascha Flatz, für nicht schuldig. Beide halten die Beweislage der Staatsanwaltschaft für zu dünn.

Argjend G. ist für die Behörden jedenfalls kein Unbekannter. Im Jahr 2012 wurde der Verfassungsschutz erstmals auf ihn aufmerksam. Bereits in der Schule soll der junge Mann mit radikalislamistischen Tendenzen aufgefallen sein.

Vier Jahre später stießen die Ermittler erneut auf Argjend G. Er gründete eine Gruppierung, die versucht haben soll, im Gebetsraum der Universitätsklinik St. Pölten für den IS zu rekrutieren. Bei Arjend G. wurde dann "eine große Menge" an IS-Propagandamaterial sichergestellt. Vor Gericht wurde er aber "im Zweifel" freigesprochen.

"Nie in der Lage gesehen, Islamunterricht zu geben"

Laut Anklage habe sich damals bereits abgezeichnet, dass der Salafist ein "religiöser Führer und Lehrer" sein wolle, der auch seine "Schüler" abgeprüft habe. Seinen "Unterricht" führte Argjend G. dann in einer St. Pöltner Moschee. Jene Gruppe sei dort aber nicht geduldet und hinausgeworfen worden. Laut G. sei das falsch. Vielmehr sei man nicht mehr erwünscht gewesen, weil der Imam davon Wind bekommen habe, dass man unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehe.

Im August 2020 mietet der Nordmazedonier schließlich besagte Wohnung in St. Pölten, die in anderen Verfahren noch zu keinem strafrechtlichen Problem wurde. Die Staatsanwaltschaft glaubt aber, dass Argjend G. "der" nächste jihadistische Prediger in Österreich werden wollte, nachdem Szenegrößen im Gefängnis gelandet waren.

"Definitiv nicht", entgegnete Argjend G. "Ich habe mich nie in der Lage gesehen, einen Islamunterricht zu geben." Der junge Mann trat bei seiner Befragung gelassen und wortgewandt auf. Der Ex-IT-Ingenieur einer Privatuniversität wies die Staatsanwaltschaft auf falsche Übersetzungen aus dem Arabischen hin – das er teils via Internet gelernt habe – und erklärte Begriffe, wenn er gefragt wurde. Auch an sämtliche Chats mit dem deutschen Jihadisten konnte er sich erinnern und will darin den IS sogar einmal kritisiert haben.

Dass er Österreich in einem Chat als "Drecksstaat" bezeichnete hatte, rechtfertigte Argjend G. damit, dass bereits zwei Ermittlungsverfahren gegen ihn erfolglos geführt worden seien und seine Eltern innerhalb der Familie geächtet würden, "weil sie denken, ich bin ein Terrorist".

Argjend G. will jedenfalls kein einziges der einschlägigen Bücher übersetzt haben. Nur an einer Korrektur habe er mitgewirkt und in Stilfragen. Auch die Hilfe beim Vertrieb gesteht der Mann ein.

In der Wohnung habe man gegessen und "gechillt". An zwei Tagen in der Woche sei sie etwa auch für Arabischunterricht genutzt worden. Radikale Predigten habe es keine gegeben, sagte Argjend G. Er habe auch keine IS-Inhalte weitergeleitet. Über die strafrechtlichen Konsequenzen wusste er da ja schon Bescheid. (Jan Michael Marchart, 6.10.2022)