Kosmischer Klangmaestro: Ismet Topçu wirkt ein wenig wie der Sun Ra unter den deutsch-türkischen Musikern.

Foto: Stadtkino

Gastarbeiter schupfen sich auf dem Bau Ziegelsteine zu. Ihre Schnauzbärte sind aufgeklebt, die Darsteller mehrheitlich Deutsche. Eine Revuenummer, Prime-Time-TV, aus dem die aus der Türkei oder Griechenland angeworbenen Männer sonst tunlichst ausgeblendet blieben. Moderator Rudi Carrell reimt sich in nicht ganz sicherem Deutsch in die Herzen des Publikums: "Man braucht einen Türken aus Konstantinopel / sonst gäb es bestimmt kein VW oder Opel."

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Man weiß gar nicht, wohin mit der Fremdscham, wenn man den Clip mit gegenwärtiger Sensibilität betrachtet. "Ist es Rassismus? Nein. Aber irgendwie doch." Regisseur Cem Kaya kommentiert das pointiert eingesetzte Fundstück im STANDARD-Gespräch. "Dieses Blackfacing, diese ,Ich nix verstehen‘-Stereotype. Die Männer werden als fleißige Arbeitsbienen besungen – das sagt viel über ihre Funktion in Deutschland aus."

Idee der Selbstbestimmung durch Musik

Pointiert ist es deshalb, weil es in dem so erhellenden wie unterhaltsamen Dokumentarfilm Liebe, D-Mark und Tod eigentlich als Kontrast dient. Kaya geht es um einen Perspektivwechsel. Der Filmemacher, Jahrgang 1976, deutsch-türkischer Abstammung, hat aus mannigfaltigem Archivmaterial und Interviews eine Popkulturgeschichte der Gastarbeiter kompiliert. Er interessiert sich für eine Binnensicht, für eine Selbstdarstellung und Idee der Selbstbestimmung.

Mit den Gastarbeitern kam auch ihre Musik in Deutschland an und begann, schnell zu fusionieren, neue Stilformen zu appropriieren. Von den 1960ern – 1961 wurde in Deutschland das sogenannte Anwerbeabkommen beschlossen – bis in die Gegenwart des Hip-Hop trieb diese kulturelle Migration ihre wunderlichsten Blüten.

Regisseur Cem Kaya bei der Berlinale 2022.
Foto: Rapid Eye Movies

Am Anfang stand die Erfahrung der abweisenden Fremde: harte Arbeitsbedingungen und soziale Isolation, dazu kam der Trennungsschmerz. In Protestliedern von Saz-Sängern wie Asik Metin Turköz, die durchaus frech und schlagfertig waren ("Du deutscher Hobel, nicht einmal deine Frau hört auf dich"), wurden sie schnell populär – 82 Singles hat allein Turköz veröffentlicht, während Yüksel Özkasap, die "Nachtigall von Köln", mehrfach zum Millionenseller wurde.

Ein ökonomisches Mastermind stand nicht dahinter, die Subkultur hat sich samt autonomer Distribution wild wuchernd herausgebildet – besonders beliebt: die Musikkassette. Das Label Türküola wurde zum in Köln ansässigen Platzhirsch, der die Musik der Diaspora unter einem Dach vereinte. In kleinen Läden stapelten sich die Titel bis an die Decke.

Geschäft mit der Sehnsucht

Kann man an diesem Beispiel sehen, wie sich Kultur stets ihre eigene Wege bahnt? "Man könnte es auch anders lesen und sagen: Es war ein Geschäft mit der Sehnsucht", sagt Kaya. "Türküola-Chef Yılmaz Asöcal sah die Nöte der Menschen. Er erkannte, dass sie nicht nur Aubergine mit Tomaten und den Gebetsteppich brauchen, sondern auch Kultur."

Eines der ersten Bilder der Gastarbeiter sei ein Mann mit seinem Transistorradio gewesen, der auf Mittelwelle nach einem Sender seiner Heimat sucht. "Musik spielt eine große Rolle im Alltagsleben. Es war ein riesiger Markt, der befriedigt werden musste. Die erste Generation lebte noch wie auf einem anderen Planeten, wirklich verloren."

Gegen das Vergessen

Trotz der Erfolge von Sängern wie Cem Karaca, der seinen Rock mit gewaltiger Bassstimme würzte, blieb die migrantische Musik eine Nische. Kayas Film arbeitet auch gegen das Vergessen, das solchen marginalisierten Stimmen droht. Er zeichnet die urbanen Räume nach, in denen diese Kultur florierte: Hochzeitsfeiern ersetzten Konzertsäle, ein "Türkischer Bazar" in einer aufgelassenen Berliner U-Bahn-Station wurde zur orientalisch geprägten Mall. "Man hat dort nicht nur Musik und Lebensmittel gekauft, sogar Bestattungen wurden erledigt – inklusive Rückführung in die Türkei."

Auf die Frage, warum die Mehrheitsgesellschaft den Gastarbeitern nicht mehr Platz in der Gesellschaft einräumte, gibt es keine einfachen Antworten. Die meisten haben sich wohl gedacht, die "Fremden" würden wieder zurückgehen, schätzt Kaya. "Man hat sich in Deutschland ja lange in die Tasche gelogen, dass man kein Einwanderungsland sei. Hätte man sich mit dieser Kultur beschäftigt, hätte man zugeben müssen, dass diese Menschen wertvoll sind."

Rassismus nimmt zu

Den Umstand, dass solche Ignoranz fast zwangsläufig in rassistische Gewalt mündet, lässt Liebe, D-Mark und Tod nicht aus. Wenn nach 1989 der rechtsextreme Ausländerhass in gewaltvollen Brandanschlägen und Morden hochkocht, verändert das wiederum die Musik. Der Zorn wuchs. Kultur steht bei Kaya im engen Austausch mit Politik und Ökonomie. Der Film veranschaulicht das ohne Didaktik aus dem Umgang mit dem Material heraus: Er deckt nicht nur eine unterschlagene Geschichte auf, vor allem feiert er die Frauen und Männer, die ihr eine Stimme gaben. (Dominik Kamalzadeh, 6.10.2022)