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Herschel Walker will einen Senatssitz.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/MEGAN VARNE

Politiker inszenieren sich gerne als Familienmenschen. Den nimmt Walker derzeit kaum jemand ab.

Der Kandidat präsentierte sich in einer perfekten amerikanischen heilen Wohnzimmerwelt mit warmem Licht, einem offenen Kamin und einem Kürbis auf dem Sims. Nur der verdrehte rechte Hemdkragen ließ auf eine gewisse Anspannung schließen. "Ich schicke vielen Leuten Geld", beteuerte Herschel Walker. "Ich helfe Menschen immer. Ich glaube an Großzügigkeit. Gott hat mich gesegnet. Ich möchte das weitergeben."

Mit der milden Gabe, auf die der republikanische Bewerber für einen der beiden Senatssitze des Bundesstaats Georgia beim rechten Sender Fox News angesprochen wurde, soll es freilich eine besondere Bewandtnis haben. Der Webseite "Daily Beast" liegt die Kopie eines von Walker unterzeichneten Schecks über 700 Dollar vor. Den soll er nach Angaben einer Ex-Freundin ausgestellt haben, um damit 2009 ihre ebenfalls dokumentierte Abtreibung zu bezahlen. Auf einer Begleitkarte wünschte er "gute Besserung".

Walker bestreitet alle Vorwürfe

Ein Politiker, der eine Geliebte zur Abtreibung drängt – das wäre im konservativen Südstaat Georgia wohl in jedem Fall ein Thema. Aber Walker ist nicht irgendwer: Der von Donald Trump unterstützte 60-jährige Afroamerikaner hat sich im Wahlkampf als Hardliner in Sachen Abtreibung präsentiert. Nach dem Urteil des Supreme Court befürwortete er im Mai ein generelles Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen ohne Ausnahmen selbst bei Vergewaltigung und Inzest. Kein Wunder, dass seine Kritiker nun lautstark über Doppelmoral klagen. Walker hingegen bestreitet alle Vorwürfe.

Richtig politisch brisant wird die Sache, weil ausgerechnet in Georgia mutmaßlich über die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Senat entschieden wird. Zudem hat Walker eine lange Vorgeschichte mit höchst befremdlichen Vorkommnissen und kruden Positionierungen. Der Ex-Football-Star, der den Klimawandel leugnet und gegen die Ehe für alle kämpft, war von Trump vor allem wegen seiner Popularität und Fernsehtaugleichkeit ausgewählt worden und illustriert dramatisch den personellen Niedergang der Republikaner, die in vielen Staaten halbseidene Rechtspopulisten und Verschwörungsideologen für die Kongresswahlen aufgestellt haben.

Vorwürfe häuslicher Gewalt

Nicht nur, dass Walker offenkundig die Größe seines nach der Sportlerkarriere gegründeten Hühnerfleischvertriebs mit angeblich 600 Beschäftigten (tatsächlich waren es acht) überzeichnete und im Wahlkampf drei uneheliche Kinder zu verschweigen versuchte. Früh wurden auch Vorwürfe der häuslichen Gewalt durch seine Ex-Frau bekannt, die sich 2002 scheiden ließ, nachdem Walker ihr angeblich eine Pistole an den Kopf gehalten und gedroht hatte: "Ich blase dir dein beschissenes Hirn heraus." Der Ex-Football-Star hat öffentlich erklärt, bei ihm sei eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden, die seither behandelt werde.

Diese Vorgeschichte störte Trumpianer und traditionelle Republikaner wie Mitch McConnell nicht. Ein mit dem Senats-Fraktionschef politisch verbandelter Spendenfonds sammelte gar 37 Millionen Dollar zur Unterstützung des Walker-Wahlkampfs. Dahinter steckt die Hoffnung, dass der Ex-Football-Star einen 2020 an die Demokraten verlorenen Senatssitz zurückgewinnen und den Republikanern damit wieder zur Mehrheit in der politisch bedeutsamen zweiten Parlamentskammer verhelfen könnten. Ein Austausch des Kandidaten ist zum jetzigen Zeitpunkt zudem wahlrechtlich nicht mehr möglich.

"Mit dem bin ich durch"

Entsprechend schließt die Partei die Reihen, spielt die jüngsten Enthüllungen herunter oder bezeichnet sie als Verleumdungskampagne. "Die Republikaner stehen hinter ihm", versicherte der einflussreiche Senator Rick Scott. Und Donald Trump wütete: "Sie versuchen einen Mann zu zerstören, der eine großartige Zukunft hat."

Allerdings sind es keineswegs Angriffe der Demokraten, die Walkers Kampagne nun ins Schleudern bringen. Vielmehr meldete sich am Dienstag sein erwachsener Sohn Christian aus der ersten Ehe bei Twitter zu Wort. Der ist kein Linker, sondern ein konservativer Tiktoker, der den rechten Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, unterstützt und gegen Bidens Einwanderungspolitik protestiert. Für seinen Vater aber hat er nur Verachtung übrig: "Mit dem bin ich durch."

Jedes Familienmitglied habe Walker gebeten, von einer Kandidatur wegen seiner Vorgeschichte abzusehen, berichtete sein Sohn: "Er hat sich entschieden, uns den Mittelfinger zu zeigen." Für den Kandidaten hatte er eine unmissverständliche Botschaft: "Du bist kein 'Familienmensch', nachdem du uns verlassen hast, um andere Frauen zu vögeln, und uns genötigt hast, auf der Flucht vor deiner Gewalt sechsmal in sechs Monaten umzuziehen." Der sonst so eloquente Herschel Walker reagierte ungewohnt einsilbig: "Ich liebe meinen Sohn trotz allem", erwiderte er auf Twitter. (Karl Doemens, 6.10.2022)