Carolyn Bertozzi ist seit 2020 die erste mit einem naturwissenschaftlichen Nobelpreis ausgezeichnete Frau und eine der wenigen in der Riege der Nobelpreisträgerinnen und -träger, die offen Teil der LGBTQ+-Community sind.
Foto: Stanford University

Lange ist es her, dass der wissenschaftliche Konsens gegen Studentinnen und Forscherinnen gerichtet war. Vor mehr als 100 Jahren soll der deutsche Physiknobelpreisträger Max Planck festgehalten haben, "dass die Natur selbst der Frau ihren Beruf als Mutter und Hausfrau vorgeschrieben hat".

Ausnahmen gestand Planck ein: So machte er die österreichische Physikerin Lise Meitner zur ersten Universitätsassistentin in Preußen. Ihre Geschichte verdeutlicht aber auch, dass in Sachen Nobelpreis Frauen im Laufe der Jahrzehnte noch immer die Ausnahme sind: Die prestigereiche Auszeichnung ging für den Nachweis der Kernspaltung von Uran an ihren Kollegen Otto Hahn, obwohl Meitner – die als Jüdin 1938 nach Schweden flüchtete – wichtige Vorarbeit leistete und als Erste Hahns Versuch richtig interpretierte.

Schwierige Bedingungen

Auch anderen Kolleginnen blieb der Nobelpreis trotz eklatanter Beiträge verwehrt, etwa der US-amerikanisch-chinesischen Physikerin Chien-Shiung Wu, die etwa das Standardmodell der Teilchenphysik revolutionierte. Trotz ihres experimentellen Bestätigung der sogenannten Paritätsverletzung erhielten die beiden Theoretiker Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang, die diese Möglichkeit in Aussicht gestellt hatten und selbst nicht recht an die Nachweisbarkeit glaubten, die hohe Auszeichnung.

Dahinter steckt zu einem gewissen Anteil Sexismus, der auch in die unterschiedlichen Rollenbilder hineinspielt. Wie Planck bereits formulierte, wurden Frauen lange Zeit der häuslichen Sphäre zugeordnet. Ein Klischee, das auch heute mitunter als schlechter Scherz oder als antifeministisches Argument herangezogen wird. Zu den weiteren Gründen zählen freilich auch die Arbeitsbedingungen und die Vereinbarkeit von Familien- und Forschungsleben.

59 Frauen unter fast 1.000

Jahrzehnte später sind in Sachen Nobelpreis Frauen noch immer die Ausnahme und stellen nur etwa sechs Prozent der Ausgezeichneten. 2020 stellte hier eine bemerkenswerte Ausnahme dar: Damals standen mit den Biochemikerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna sowie der Astrophysikerin Andrea Ghez drei Frauen in den Naturwissenschaften fünf männlichen Preisträgern gegenüber.

Nun, 2022, wird die US-Chemikerin Carolyn Bertozzi von der Uni Stanford zur insgesamt 59. Empfängerin – hochverdient, wenn man ihre bisherigen Auszeichnungen betrachtet: Schon mit 33 Jahren wurde sie als Genie gefeiert und erhielt als jüngste Forscherin das renommierte MacArthur-Stipendium. Aktuell kommt die 55-Jährige auf die beachtliche Zahl von 600 Publikationen.

Auch unter einem anderen Aspekt sorgt Bertozzi für mehr Diversität: Sie ist lesbisch und engagiert sich für die Rechte der LGBTQ+-Community. Mit dem diesjährigen Gewinner des Medizinnobelpreises, Svante Pääbo, zählt sie zu den ersten offen queeren Nobelpreis-Prämierten der Wissenschaft. (Julia Sica, 5.10.2022)