Solidarität in Italien mit den Protesten im Iran. Auf dem Plakat hält die Demonstrantin ein Bild von Mahsa Amini vor und nach ihrer Verhaftung hoch.

Foto: APA/AFP/FILIPPO MONTEFORTE

Die Berichte von den inzwischen seit fast drei Wochen andauernden regierungskritischen Protesten im Iran sind so erschütternd wie beeindruckend. Hier die Brutalität, mit der einmal mehr gegen Demonstrant:innen vorgegangen wird, dort der unfassbare Mut, sich dem Regime entgegenzustellen. Wie schon bei Protesten unmittelbar nach Einsetzung der Islamischen Republik 1979 sind es wieder – und wie auch während der vergangenen vier Jahrzehnte – oft Frauen, die diese Proteste tragen.

Video: Die Sittenpolizei im Iran kann jederzeit Frauen festhalten und "belehren". Wie es dazu kam und warum die Menschen jetzt ihr Leben riskieren, um sich dagegen zu wehren

DER STANDARD

Die Unterdrückung von Frauen, die Kontrolle ihrer Körper, ihrer "Moral" scheint angesichts der derzeit so starken Proteste zu einem schwächelnden Instrument geworden zu sein. Bekleidungsvorschriften und unzählige andere Zwänge, wie sie zu leben hätten, waren für die Machthaber stets eine notwendige Symbolik. Es ist aber auch eine, die sich bildgewaltig gegen das repressive Regime richten lässt. Das führen die demonstrierenden Frauen und Mädchen, die erfolgreich unterschiedliche Minderheiten, soziale Schichten und Altersgruppen mit auf die Straßen ziehen, beeindruckend vor.

Auch die Solidarisierungen mit den Protesten im Iran bedienen sich einer starken Symbolik. Wenn die Kontrolle von Frauen schon als Chiffre für umfassende Kontrolle und Handlungsmacht steht, dann weg mit den Insignien der "Weiblichkeit". Weltweit schneiden sich Frauen aus Solidarität ein Büschel Haare ab. Das soll auf das "Zuviel an Haaren" hinweisen, die die Kurdin Mahsa "Jina" Amini (ihr kurdischer Name war "Jina") laut Sittenpolizei zeigte. Sie wurde wegen "unangemessener Kleidung" verhaftet. Drei Tage später starb die erst 22-Jährige. Augenzeug:innen sprechen von Schlägen gegen den Kopf.

Das löste die aktuellen und für das Regime durchaus bedrohlichen Proteste aus. Doch Widerstand leisteten zahllose Frauen schon davor, manchmal scheinbar "nur" im Kleinen und tagtäglich: Sie reizten die herbeifantasierten Grenzen der Moral laufend aus, etwa indem sie ihr Kopftuch so locker oder kreativ wie nur möglich trugen. Dass selbst diese vermeintlich kleinen Gesten des Widerstands hochriskant und couragiert waren, das zeigt nun der Tod Mahsa "Jina" Aminis.

Chauvinismusfreie Solidarität

Der Westen muss jetzt mit großer Aufmerksamkeit, Solidarität und ohne chauvinistisch- kolonialen Blick auf diese Proteste schauen. Ohne verknappte Botschaften, die manchen vielleicht in den Kram passen, wie es der US-Comedian Trevor Noah in der "Daily Show" schön auf den Punkt bringt. Dass die Frauen freilich nicht dagegen protestieren, dass Menschen – wie auch immer – ihre Religion praktizieren, etwa mit einem Kopftuch. Sondern dass sie dagegen protestieren, dass eine Regierung alle Menschen dazu zwingt, einer Religion zu folgen und sie in einer ganz bestimmten Form zu praktizieren.

The Daily Show with Trevor Noah

Der Blick zu den Protesten im Iran ist nicht zuletzt deshalb zentral, weil auch in zahlreichen westlichen Ländern auf politischer Ebene Religion beginnt, wenn die Argumente enden. Etwa wenn Frauen nicht abtreiben dürfen, erst gar nicht verhüten sollen oder zumindest schön viel Geld für beides zahlen sollen. Unterdrückung fängt dort und somit oft bei den Frauen an, der Widerstand aber auch. (Beate Hausbichler, 6.10.2022)