Heute wird die Entscheidung um den Literaturnobelpreis 2022 gelüftet.

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Um 13 Uhr wird heute in Stockholm die Gewinnerin des diesjährigen Literaturnobelpreises verkündet. Die Buchmacher sahen am Vormittag die Kanadierin Anne Carson sowie die französischen Autoren Michel Houellebecq und Annie Ernaux in Führung. Diejenigen, die auf eine politisch motivierte Entscheidung spekulieren, hatten zuletzt auch den im August bei einem Messerattentat verletzten Salman Rushdie ("Die satanischen Verse") und den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan ins Spiel gebracht.

Was aber zeichnet bisherige Preisträger und Preisträgerinnen aus? Der durchschnittliche Literaturnobelpreisträger ist Mitte 60, weiß und männlich. Von bisher 118 Preisträgern waren 102 männlich, 16 Preise gingen an Autorinnen. Wobei sieben dieser Gewinnerinnen seit dem Jahr 2000 gekürt wurden. Was für die jüngste Vergangenheit immer noch keine gleichmäßige Verteilung bedeutet, aber eine Entwicklung in die richtige Richtung anzeigt.

Eurozentrischer Blick, Preis wieder an Frankreich

Zuletzt haben kritische Stimmen indes vermehrt den eurozentrischen Blick der Schwedischen Akademie, die den Preis vergibt, bemängelt. Am häufigsten auf der Gewinnerliste seit 1901 scheinen nämlich Frankreich (15), die USA, Großbritannien, Deutschland und Schweden auf. Dahinter folgen Italien, Spanien, Polen, Irland, Dänemark, Norwegen (drei). Nun scheint es verwegen anzunehmen, dass etwa Schweden (acht) wirklich achtmal so viele preiswürdige Dichter und Erzähler aufzubieten hat wie Ägypten oder Mexiko (je einen). Eine auch historisch bedingte und befeuerte Verzerrung ist klar gegeben, die inzwischen bei einem global vergebenen und wahrgenommenen Preis eigentlich überwunden sein sollte.

So ist es zehn Jahre her, dass mit Mo Yan ein chinesischer Autor ausgezeichnet wurde, 2003 war mit J. M. Coetzee der letzte afrikanische Autor dran. In den vergangenen Jahren war deshalb immer wieder ein afrikanischer Preisträger erwartet worden. Als 2021 tatsächlich der tansanische Autor Abdulrazak Gurnah gekürt wurde, hatte das aber den Beigeschmack, dass er seit Jahrzehnten in Großbritannien unterrichtet und publiziert.

Das ändert jedoch nichts daran, dass seine sich vielfach mit dem europäischen Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent befassenden Werke etwa im deutschsprachigen Raum damals kaum übersetzt und, soweit übertragen, vergriffen waren. Andererseits war auch die 2020 ausgezeichnete US-Lyrikerin Louise Glück hierzulande kaum jemandem ein Begriff und nur in den Bücherregalen von Feinspitzen präsent.

Qualität und "Nutzen"

Welche Kriterien gibt es also für die Zuerkennung? Prinzipiell wird ein Lebenswerk ausgezeichnet. Laut Testament von Alfred Nobel sollten die von ihm gestifteten Preise jenen zukommen, die mit ihrer Arbeit "der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben". Das ist schwammig formuliert. Grundsätzlich zählt literarische Qualität; politische und gesellschaftspolitische Aspekte werden in den Begründungen der Schwedischen Akademie für einen Autor oder eine Autorin aber immer wieder prominent erwähnt.

Publikumserfolg allein, so zeigt die Liste derer von Michel Houellebecq bis Haruki Murakami, die bisher leer ausgegangen sind, ist jedenfalls nicht Grund genug für Erfolg in Stockholm. Überschaubare Beachtung seitens des breiten Marktes ist kein Ausschlussgrund.

Der Literaturnobelpreis wird am 10. Dezember überreicht. (wurm, 6.10.2022)