Pariser Fanaufläufe wird es während der WM in Katar nicht spielen – selbst wenn es die Temperaturen im Winter zuließen.

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Stars wie Kylian Mbappé oder Karim Benzema müssen sich auf eine mäßige Begeisterung ihrer Fans einstellen. Eineinhalb Monate vor Beginn der Fußball-WM spricht in Frankreich niemand davon, dass die "Bleus" in Katar einen dritten Weltmeisterstern anstreben. Diskutiert wird vielmehr, ob sich Sportsfreunde nicht zu Helfershelfern einer umstrittenen Veranstaltung machen, wenn sie die Turnierspiele im Emirat ab dem 20. November mitverfolgen.

Der Bürgermeister der Weinstadt Bordeaux, Pierre Hurmic, erklärte jedenfalls, er würde sich als "Komplize" einer Veranstaltung fühlen, die "voller humanitärer, ökologischer und sportlicher Absurdität" stecke. Aus diesem Grund verzichte Bordeaux auf das Public Viewing in eigens ausgewiesenen Fanzonen oder auf andere Begleitveranstaltungen.

Vergangene Woche hatte die elsässische Stadt Straßburg bekanntgegeben, sie werde während des einmonatigen Turniers keine Großleinwände aufstellen. Der Bau von sieben Stadien in der Hauptstadt Doha, die bei der Leichtathletik-WM nicht einmal ein Stadion zusammengebracht habe, sei widersinnig. Die grüne Bürgermeisterin Jeanne Barseghian verwies auch auf die ungeklärten tödlichen Arbeitsunfälle asiatischer Immigranten. Der liberale Bürgermeister der Champagnerstadt Reims, Arnaud Robinet, begründet sein Abseitsstehen seinerseits mit der klimaschädlichen Kühlung ganzer Stadien.

Pragmatismus

Diese Woche haben sich auch die beiden größten französischen Städte angeschlossen. Die fußballvernarrte Mittelmeermetropole Marseille will einem Turnier, das in jeder Hinsicht eine "Katastrophe" sei, nicht noch Vorschub leisten. Gleicher Meinung ist man im Pariser Rathaus, vor dem schon Zehntausende die Spiele der "Bleus" mitverfolgt und gefeiert hatten.

Die linke Bürgermeisterin Anne Hidalgo verwies auf das schwere Los der Stadionarbeiter und fügte an, im Dezember sei es an der Seine ohnehin zu kalt für eine Fanzone. Mittlerweile haben sich auch kleinere Provinzstädte wie Rodez der Boykottwelle angeschlossen.

Gegenstimmen sind selten. Einzelne Fans verwiesen auf den Umstand, dass der Mannschaftsbus von Paris Saint-Germain zum gestrigen Spiel der Champions League bei Benfica Lissabon fast 2000 Kilometer weit völlig leer gefahren sei, um das Team vom Flughafen ins Hotel und dann ins Stadion zu bringen.

Schon davor hatte ein Flug von PSG zum Ligaspiel beim FC Nantes mit einer Maschine des Sponsors Qatar Airways für Ärger gesorgt. Der Klub pries den Flug in den sozialen Netzwerken an, ein Shitstorm war die Folge. Diesbezügliche Fragen hatten Coach Christophe Galtier mit einem Witz über eine mögliche Anreise mit Strandseglern als lächerlich abgetan. Stürmerstar Mbappé hatte seinerseits nur gekichert und angegeben, dass er sich "keine Gedanken" zu diesem Thema mache. Aus der Politik gab es reichlich Kritik. Premierministerin Elisabeth Borne wurde ganz deutlich: "Es ist wichtig, dass sie realisieren, in welcher Welt wir leben, dass sie sich der Klimakrise bewusst sind, dass diese keine Hypothese für die Zukunft, sondern eine Realität in der Gegenwart ist."

Heuchelei

Der Publizist Nabil Ennasri, Autor eines Buches über "das Rätsel Katar", hält die Absagen der Städte seinerseits für "heuchlerisch". Frankreich habe Katar zu einem strategischen Partner in der Golfregion erklärt und dem Scheichtum Rafale-Kampfjets gegen Öllieferungen verkauft. Während der Turnierdauer zu "schmollen" und die Geschäfte dann wiederaufzunehmen, sei politisch nicht kohärent. Präsident Emmanuel Macron hat sich bisher nicht zur städtischen Protestwelle geäußert. (Stefan Brändle aus Paris, 6.10.2022)