Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen bei einer Pressekonferenz im Jahr 1983.

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Jean-Marie Le Pens persönliche Sternstunde im Präsidentschaftswahlkampf 2002.

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Mittlerweile zeigt sich Tochter Marine weniger öffentlich mit ihrem Vater und betont leisere Töne in der Partei, die sie auch umbenannt hat.

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Ein Sonderkongress zum runden Geburtstag? Eine Jubelfeier mit ordenbehängten Parteiveteranen und europäischen Nationalisten? Nichts von alledem plante Marine Le Pen am 50. Geburtstag des französischen Front National (FN) diese Woche. Für sie genügt ein kurzes, sehr diskretes Kolloquium unter der – bis heute nicht eingehaltenen – Devise "Von der Hoffnung an die Macht".

Auch der greise Parteigründer Jean-Marie Le Pen war nicht eingeladen. Der 94-jährige Rechtsextremist hatte den FN am 5. Oktober 1972 aus der Taufe gehoben. Vichy-Milizionäre des Zweiten Weltkriegs, ehemalige Waffen-SS-Angehörige, Algerienkämpfer und Kolonialnostalgiker hatten den damals jüngsten Abgeordneten der französischen Nationalversammlung als gemäßigtes Aushängeschild vorgeschoben. Nach dem Rat des italienischen Neofaschisten Giorgio Almirante (MSI) sollte er einen "lächelnden Faschismus" verkörpern.

Jean-Marie Le Pen lächelte aber nicht lang, sondern bootete die Ultrarechten der "Neuen Ordnung" (Ordre Nouveau) aus und machte den FN zu seiner persönlichen Wahlplattform. 1986 zog er mit 35 Abgeordneten – und tatkräftiger Unterstützung durch den sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, der die gaullistischen Konservativen schwächen wollte – in die Nationalversammlung ein.

Scheusal der Republik

Mit der Behauptung, die Gaskammern des Zweiten Weltkriegs seien "ein Detail der Geschichte", und anderen Affären und Gerichtsurteilen machte er sich einen Namen als Scheusal der Republik. "Eine Million Arbeitslose, das ist eine Million Immigranten zu viel", polterte der Mann mit dem Glasauge.

2002 erlebte er seine persönliche Sternstunde, als er den Sozialisten Lionel Jospin aus dem Präsidentenrennen schlug. Erst in der Stichwahl unterlag er Jacques Chirac. 2015 wurde Jean-Marie Le Pen von seiner eigenen Tochter aus dem FN geworfen. Marine Le Pen hatte genug von seinen garstigen Sprüchen, die ihre Strategie der "Entdämonisierung" ständig durchkreuzten, und taufte die Partei in Rassemblement National (RN) um.

Leisere Töne

Das klingt unverfänglicher und bedeutet "auch einen politischen Bruch", wie der langjährige Le-Pen-Spezialist Jean-Yves Camus heute meint. Das RN habe den Immigrationsstopp zwar immer noch zum Kerninhalt, verbiete sich aber jedes laute Wort dazu. Auch den EU- und Euro-Austritt propagiere sie nicht mehr, sagt Camus. Dafür berufe sie sich mittlerweile sogar auf den Weltkriegshelden und Republikbegründer Charles de Gaulle. Das wirkt sehr aufgesetzt, aber Le Pen weiß, dass sie bei ihrer vierten Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2027 nur dann eine Chance hat, wenn sie den "republikanischen Damm" gegen ihre Partei durchbrechen und auch Stimmen des konservativ-gaullistischen Lagers anziehen kann.

Viele ihrer Anhänger in Südfrankreich hassen de Gaulle jedoch bis heute, weil er "ihr" Algerien 1962 in die Unabhängigkeit entlassen hat. Auf diese reaktionären Wähler bleibt Le Pen mindestens so sehr angewiesen wie die italienische Wahlsiegerin Giorgia Meloni auf ihre "Brüder Italiens".

Weiteres Lächeln

Zugleich hat Le Pen ihren 89 RN-Abgeordneten in der Nationalversammlung offensichtlich eingebläut, verbindlich und konsensual aufzutreten – lächelnd eben. Der Erfolg ist da: In einer Umfrage von dieser Woche wird Le Pens RN erstmals überhaupt als weniger "gefährlich" (so der Umfrageterminus) eingestuft als die Linksallianz um die Unbeugsamen von Jean-Luc Mélenchon. Jede Erinnerung an die Anfänge des Lepenismus ist da unerwünscht. Denn in Wahrheit offenbart die Parteigeschichte nicht nur eine politische Kontinuität in der Sache, sondern auch die 50-jährige Herrschaft der Le Pen'schen Familiendynastie über die "nationale" Bewegung Frankreichs.

Folgerichtig wird ihr runder Geburtstag so leise wie möglich begangen, und auch ohne Auseinandersetzung mit der Ära von Jean-Marie Le Pen. "Wir machen uns nicht selber den Prozess", meint der RN-Europaabgeordnete Philippe Olivier, der mit Marine Le Pens ältester Schwester Marie-Caroline verheiratet ist. "Wir sind doch keine Masochisten."

Jean-Marie Le Pen verschmerzt derweil seine Nichteinladung zur 50-Jahr-Tagung und lädt 50 Getreue zu einer Privatfeier in seine Villa im Pariser Nobelvort Saint-Cloud ein. Einem Radiosender erklärte er von sich in der dritten Person: "Es ist doch absurd, Jean-Marie Le Pen in der Geschichte des FN vergessen zu wollen." Womit er sogar recht hat. (Stefan Brändle aus Paris, 6.10.2022)