Maksym Gon hat bereits in der Roten Armee als Artillerist gedient. Nun verteidigt er die souveräne Ukraine.

Foto: Gon

Eigentlich hätte Maxym Gon die Uniform nicht anziehen müssen. Er hätte nicht die Kalaschnikow annehmen und in den Donbass fahren müssen. Und doch hat sich der 56-Jährige bereits in der ersten Woche nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine zu den Streitkräften gemeldet. Nicht die jungen Burschen sollten sterben, die ihr Leben noch vor sich haben, sondern alte Männer wie er sollten das Land und die Bevölkerung verteidigen, sagte er bereits in früheren Interviews.

Als Universitätsprofessor war Gon von der Einberufung in die Armee ausgenommen. Das passende Formular lag bereits unterschrieben von der Leitung an seiner Universität in Riwne bereit. Doch die geflüchteten Menschen, die er an den Bushaltestellen der nordwestlichen Großstadt stehen sah, waren für ihn "mehr als genug, um die Entscheidung zu treffen", sagt Gon im Gespräch mit dem STANDARD. Vor allem die Kinder. Seine Frau unterstütze seine Entscheidung, seiner erwachsenen Tochter – die mittlerweile nach Polen geflüchtet ist – hat er von seinem Einsatz erst später erzählt.

Wo er sich genau befindet, kann er aus Sicherheitsgründen nicht sagen. Aber es ist der Donbass. Was er am meisten vermisse? "Alles. Alles, was ich in meinem normalen und friedvollen Leben hatte", sagt Gon: "Vor allem meinen privaten Rückzugsbereich und Bücher."

Russische Propaganda

An der Front direkt ist er nicht, erzählt er. Rund drei Kilometer entfernt arbeitet er "vor allem mit den Händen, so viel kann ich sagen", erzählt er. Er habe Probleme mit den Augen. In der Roten Armee war er noch bei der Artillerie, doch von der Sowjetunion will er nichts mehr hören: "Für die Menschen meiner Generation, die mit der Idee der Einigkeit der drei brüderlichen Nationen Russland, Ukraine und Belarus aufgewachsen sind, ist [der Krieg] ein Paradox und ein Schock."

Dass die russische Propaganda von Nazis in der ukrainischen Regierung und Faschismus im Land spricht, ist für Gon auf der einen Seite "lachhaft und gleichzeitig empörend". Er selbst ist Jude und auch, wenn er das Judentum nicht praktiziert, hat er bereits in der Jugend von seinen Eltern über die Gräueltaten der Nazis gehört, die auch Nahe seiner Geburtsstadt Iwano-Frankiwsk geschehen sind. Er selbst sei immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert gewesen. Diese seien aber noch zu Zeiten der Sowjetunion häufiger aufgekommen als in der souveränen Ukraine. Und die ukrainische Bevölkerung wüsste, dass der wahre Faschismus in Russland sei, der "Russism" oder "Putism", wie er im Diskurs genannt wird.

Kein Zweifel an Oberbefehlshaber Selenskyj

Präsident Wolodymyr Selenskyj – der ebenfalls Jude ist – hat er bei der Wahl seine Stimme nicht gegeben. Zu populistisch seien seine Aussagen gewesen, sagt Gon. Doch "es gibt zwei Selenskyjs für mich", sagt er. Jenen vor dem Einmarsch und den danach. "Für mich als Bürger und Soldat kann es keinen Zweifel am Oberbefehlshaber Selenskyj geben."

Seit den Landgewinnen in den vergangenen Wochen im Osten und Süden der Ukraine sei die Stimmung innerhalb der Truppe gestiegen, erzählt Gon: "Es verleiht Flügel, und die Zuversicht, dass wir das erreichen, was wir wollen, ist gestiegen." Für ihn gibt es keine Alternative als den Kampf bis zum Schluss: "Wenn wir nicht für uns einstehen, wird es – wenn nicht Genozid – etwas sehr Ähnliches geben." Nämlich: "Endlose Verbrechen gegen die Menschlichkeit", fügt Gon hinzu. Dass man die russische Armee vollständig besiegen könnte, kann er sich nur schwer vorstellen. Aber man müsste sie zumindest bis zu den Grenzen des 23. Februar zurückdrängen.

Idealerweise könnte man sogar die Krim-Halbinsel auch noch zurückerobern und anschließend mit Moskau verhandeln.

Russen zahlen Preis

Eine Unterscheidung zwischen dem russischen Präsidenten Waldimir Putin und der allgemeinen Bevölkerung Russlands macht Gon nicht. "Ich glaube, dass jeder Russe für den 'Russism' und 'Putism' verantwortlich ist", sagt er. Man habe sich konstant ins Jahr 1985 zurückentwickelt – vor die Zeit des kürzlich verstorbenen Michail Gorbatschow. Der Krieg sei "nun der Preis, den sie zu zahlen haben, weil sie nichts gegen Putin unternommen haben".

Auch der Westen müsste für Putin zahlen – es werde kalt werden. Doch die ukrainische Bevölkerung würde eben nicht nur mit Geld für Putins Aggression zahlen, sondern mit ihrem Blut. 23 Jahre war der jüngste seiner gefallenen Kameraden, sagt Gon: "Noch ein Kind." Man müsse gewinnen, damit die Kinder keine Angst mehr vor den Sirenen und den Begräbnissen haben müssten. (Bianca Blei, 7.10.2022)