Der Launch von "Overwatch 2" wird von massiven Technik-Pannen überschattet. Aber das ist nicht das größte Problem.

Foto: Activision Blizzard

Fans des quietschbunten Hit-Shooters "Overwatch" brauchten bei der Umstellung vom Ur-Produkt auf den zweiten Teil Mitte der Woche starke Nerven. LC-202. BN-054. LS-403. Nein, das sind nicht die ersten Zeilen aus dem Quellcode von "Overwatch 2", sondern eine kleine Auswahl aus den Fehlermeldungen, die man zu sehen bekommt, sollte man es je auf die erste Stelle der Warteschlange schaffen. Nächste Hürde: die Account-Anmeldung. Vertippt man sich beim Passwort, wird man sofort wieder ans Ende der Schlange befördert. 30, 40, 100 Spielerinnen und Spieler sind vorher an der Reihe, um im exklusiven Club der "Overwatch"-Spielenden teilnehmen zu dürfen. Wie sich beim dritten Versuch trotz richtiger Passworteingabe herausstellt, existiert das Problem gar nicht vor dem Bildschirm, sondern irgendetwas scheint mit dem Login-System bei Blizzards Battlenet nicht zu stimmen.

Streamer Asmon verliert die Nerven bei "Overwatch 2".
Asmongold Clips

Ist es vielleicht diese ominöse SMS-Aktivierung, die rechtschaffene "Overwatch"-Spielende vor bösen Cheatern schützen soll, wie Blizzard meint? Nein, die kann es eigentlich nicht sein, denn das angebliche Sicherheitsfeature wurde nach einem massiven Shitstorm noch am Launchtag für die meisten Userinnen und User gestrichen. Eigentlich sollte es Cheatern und toxischen Hate-Kiddies so unmöglich werden, mehrere Accounts zu betreiben, weil sie pro Konto eine Handynummer brauchen. Woher ich das so genau weiß? Nun, irgendwie muss man die Zeit in der Warteschleife ja sinnvoll nutzen, und da kann man sich gleich einlesen – wobei Snoop Doggs Methode der krautbasierten Stressbewältigung manchmal verlockender erscheint.

Snoop Dogg ist verärgert.
50calbullet

Eigentlich hätte mir der Hinweis im Launcher schon eine Warnung sein müssen: Blizzard arbeitet an einer Lösung für Spieler, die mit "Unerwarteten Serverfehlern" ins Battle.net-Nirvana zurück katapultiert werden. Wobei der Begriff "unerwartet" ein wenig höhnisch wirkt, denn das Launch-Desaster haben Games-Zyniker schon erwartet. Zugegeben, für zwei DDoS-Attacken auf die Server kann man schwerlich Blizzard verantwortlich machen, aber es gibt noch dahinter eine Reihe von Problemen, wie man selbst zwei Tage nach dem verpatzten Launch zugeben musste. Die Kurzversion: Lange Warteschlangen werden vorerst bleiben, aber man arbeitet mit Hochdruck – man kennt das. Dazu funktionierte die angekündigte Migration der Inhalte aus Teil eins nicht wie geplant, und es stellte sich heraus, dass "Overwatch 2" nicht komplett erscheint, sondern erst im kommenden Jahr fertig sein wird. Hätte ich ein Rezept für den perfekten Kacke-Sturm schreiben müssen, wäre mir das alles gar nicht eingefallen. Blizzard hat sich an dieser Stelle ein höchst sarkastisches "Chapeau!" verdient.

Kernstück der Monetarisierung ist der verhasste Battle-Pass.
Foto: Activision Blizzard

Blizzard wird die Server fixen, keine Frage. Das haben sie auch schon bei "Diablo 3" und "Diablo Immortal" geschafft. Die Activision-Tochter wird leider auch nicht die letzte Spieleschmiede sein, die einen verpatzten Launch hinlegt. Darüber hinaus ist "Overwatch 2" im ersten Eindruck auch kein schlechtes Spiel und setzt die Tradition des Vorgängers fort. Beinahe zu genau, denn die Unterschiede sind nicht im Spielerischen zu finden, sondern in der Monetarisierung.

Es fühlt sich wie Diebstahl an

Aber was mich als Veteran des ersten Teils mehr stört als alle Warteschlangen und jeder gecrashte Server, ist die Tatsache, dass mir ein 40 Euro teures Spiel weggenommen wurde, denn "Overwatch 2" ersetzt den Vorgänger und wird zum Free-to-play-Titel. Gut, das haben andere auch schon erfolgreich gemacht – siehe "Destiny 2" oder "The Elder Scrolls Online", aber bei Blizzard riecht es einmal mehr nach Abzocke. Zwar wird der Fortschritt aus dem Vorgänger übernommen, aber will ich jetzt neue Skins freispielen, muss ich jetzt für etwas zahlen, das im ersten Teil kostenlos erspielbar war.

Cosplayerin JenNyan als Overwatch-Heldin D.Va (gesprochen "Diva").

Wie ein Reddit-User errechnet hat, kostet es 12.000 Dollar, will man als neuer Spieler alle Inhalte aus dem ersten Teil sein Eigen nennen. Denn natürlich hat Blizzard die Checkliste aus dem Handbuch für Free-to-play-Monetarisierung pflichtschuldig abgehakt. Neue Skins: Check, der 1:1 von Warzone geklaute Battle Pass, ist natürlich mit dabei, genau so wie eine nur schwer in echtes Geld umrechenbare Pseudowährung – eine "Overwatch-Münze" kostet aktuell 1,9 Cent, mit 2.000 davon darf man den Battle-Pass mit allen Features erwerben, was wiederum 39,99 entspricht. Alles klar, oder?

12.000 Euro kosten alle Inhalte des ersten Teils. Der kostete damals 40 Euro.

Das entspricht genau jenen 40 Euro, die ich vor sechs Jahren für das komplette Spiel bezahlt habe – jetzt bekomme ich für das gleiche Geld eine Season lang ein paar verzichtbare Skins, aber auch neue Helden, von denen die Gratisspielerschaft oder die Besitzer des ersten Teils zumindest anfangs ausgesperrt bleiben, so sie nicht noch einmal 40 Euro lockermachen. Das ist dreist und ein nachträgliches Downgrade eines mit harter Währung bezahlten Unterhaltungsprodukts. Aktuell ist "Overwatch 2" nicht mehr als ein Update des ersten Teils mit künstlich eingefügten Bezahlschranken und nach dem Desaster um "Diablo Immortal" einmal mehr ein Beweis, wie egal die Fans Blizzard geworden sind. (Peter Zellinger, 7.10.2022)