Messner: "Meine Warnungen haben nichts gebracht, es ist schlimmer geworden. Ich bin mit meinem Alpinismus gescheitert. Kaum jemand hat den Alpinismus der Reduktion, des Verzichts auf viele Hilfsmittel und Infrastruktur, nachgemacht. Die Leute gehen dorthin, wo auch die anderen sind."

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Viele Besteigungsversuche im Himalaja enden mit einem Transfer in ein Krankenhaus nach Kathmandu.

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Zuletzt gab es selten perfekte Bedingungen am Manaslu. Starke Schneefälle sorgten für erhebliche Lawinengefahr.

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Zuletzt verging kaum ein Tag ohne Unglücksmeldung aus Nepal. Heftige Schneefälle im Himalaja führten zu einer Serie von Lawinenabgängen, die viele Tote und zahlreiche Verletzte forderten. Am vergangenen Dienstag verunglückten bei einem Bergsteiger-Ausbildungslehrgang auf dem 5.000er Draupadi Ka Danda II im indischen Teil des Himalaja mindestens 26 Menschen tödlich. Drei Menschen werden noch vermisst.

Am Sonntag davor wurde das Manaslu-Basislager durch eine Lawine verwüstet, Opfer waren dabei glücklicherweise nicht zu beklagen. Wenige Tage davor aber kam bei einem Lawinenabgang auf dem mit 8.163 Metern achthöchsten Berg der Welt ein Sherpa aus Nepal ums Leben, ein Dutzend seiner Kollegen wurde teils schwer verletzt. An jenem Tag stürzte auch die bekannte US-Skibergsteigerin Hilaree Nelson bei der Abfahrt vom Manaslu in den Tod.

Die Todeszone ruft

Dabei hätte es noch viel schlimmer kommen können, wurden doch in der Herbstsaison allein für den Manaslu 404 Besteigungs-Genehmigungen (Permits) vergeben. 2021 waren es nur 171 gewesen. Da nahezu für jeden Expeditionsteilnehmer ein Sherpa vorgesehen ist, waren in den vergangenen Wochen rund 800 Menschen auf dem Weg in die sogenannte Todeszone – bei teils schlechtem Wetter und hoher Lawinengefahr. Nach und nach brachen die meisten Expeditionen ihre Besteigungsversuche wegen suizidaler Bedingungen ab.

Ende Juli kam es auf dem K2, dem mit 8.611 Metern zweithöchsten Berg, der bislang eine der am schwierigsten zu besteigenden Erhebungen war, zu besorgniserregenden Szenen, wie man sie etwa aus 2019 vom Everest kennt: Just an der gefährlichsten Stelle, dem sogenannten Flaschenhals, staute es. Mehr als 400 Permits sorgten für den Ansturm.

Reinhold Messner kritisiert seit Jahrzehnten die Entwicklung hin zum Massentourismus – nicht nur auf den höchsten Bergen. Dem STANDARD sagte er nun: "Meine Warnungen haben nichts gebracht, es ist schlimmer geworden. Ich bin mit meinem Alpinismus gescheitert. Kaum jemand hat den Alpinismus der Reduktion, des Verzichts auf viele Hilfsmittel und Infrastruktur, nachgemacht. Die Leute gehen dorthin, wo auch die anderen sind." Wahrscheinlich muss erst wieder einmal etwas Größeres passieren, damit ein Umdenken stattfindet", mahnt die Bergsteigerlegende aus Südtirol.

Die Besteigungen der 8.000er sind laut Messner früher um ein Vielfaches gefährlicher gewesen. "Im Verhältnis kommen viel weniger als früher um, weil man die Berge in Seile und Ketten gelegt, sie mit Brücken und Leitern ausgestattet hat, um Gefahren rauszunehmen", sagt der 78-Jährige. Als er vor 50 Jahren den Manaslu mit einer Tiroler Expedition über die Südseite bestieg, sei "vorher niemand da gewesen. Da gab es nicht einmal ein Foto. Das war eine andere Welt." Damals konnte er sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, während seine Kollegen Andreas Schlick und Franz Jäger Opfer eines Schneesturms und 15 Südkoreaner von einer Lawine in den Tod gerissen wurden.

Moderne Zeltstädte

Heutzutage werden abwechselnd der Everest, der K2 und der Manaslu von Sherpas präpariert. Messner: "Um Klienten, die bereit sind, viel Geld zu zahlen, raufzubringen. Es ist unglaublich, da werden Zeltstädte mit 500 Zelten gebaut, zum Teil mit Sauna. Im Everest-Basislager gibt es sieben Hubschrauberlandeplätze, sie fliegen rauf, wenn da oben auch nur jemand Kopfweh hat. Das hat mit Bergsteigen nichts mehr zu tun, das ist Tourismus", sagt Messner. Hätte man die Anstrengungen und Gefahren auf den großen Bergen nicht verringert, dann wären dort keine Massen." Präpariert sei der Manaslu-Normalweg nur "ein Gehweg" und zumindest um den Faktor zehn einfacher zu bewältigen. "Aber wenn keine Piste da ist, dann ist es höllisch anstrengend."

Audienz beim König

Freilich weiß auch Messner, dass Nepal Einnahmen aus dem Tourismus gut gebrauchen kann. 2003 ist Messner mit Everest-Erstbesteiger Sir Edmund Hillary im Zuge einer Audienz bei Nepals letztem König mit dem Wunsch abgeblitzt, man möge doch bitte weniger Permits ausstellen. Gyanendra Bir Bikram Shah Dev soll laut Messner gesagt haben: "Wir können auf das Geld nicht verzichten."

Spezieller Reiz

Heuer zog ein spezieller Reiz wesentlich mehr Wagemutige als üblich in den Bann: die Besteigung des tatsächlichen Gipfels des Manaslu. Der im Vergleich zum Vorgipfel wenige Meter höhere Gipfelzipfel wird wegen der steil abfallenden Flanken meist ausgelassen. Dass nun so viele wie noch nie den Nervenkitzel suchen, liegt auch am Chronisten Eberhard Jurgalski. Nach Recherchen des 69-jährigen Deutschen sollen genau genommen zahlreiche Besteigungen von 8000ern nicht zur Gänze erfolgt sein.

Kratzer in Messners Vita

Betroffen davon ist auch eine von Messners Achttausenderbesteigungen, jene der Annapurna (8.091 m) mit Hans Kammerlander 1985. Messner will dazu eigentlich kein Wort mehr verlieren. "Ich habe mir geschworen, nicht mehr zu reagieren. Verschwörungstheorien multiplizieren sich nur, wenn man dagegen vorgeht. Viele lassen sich von diesem Menschen ins Bockshorn jagen. Ich sage: Ja und? Am Gipfelgrat gibt es meterhohe Schneeverwehungen. Mir ist es völlig wurscht, ob er sagt, irgendwer sei fünf Meter unter dem höchsten Punkt gewesen. Das spielt in solchen Dimensionen überhaupt keine Rolle. Er will nicht die alpine Geschichte zurechtrücken, er ruft nach Anerkennung und lebt von den Erfolgen der Bergsteiger, die wirklich oben waren. Es ist absurd, die Umkehrung des Alpinismus, eine Zerstörung dieser großartigen Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln mit der großen Natur."

Nach der Durchsteigung der 4.000 Meter hohen Nordwestwand habe am Gipfelgrat der Schneesturm getobt, erzählt Messner, aber sie seien damals in der Meinung, den schwer ausmachbaren höchsten Punkt passiert zu haben, abgestiegen. Vom Manaslu brachte Messner als Beweis einen im Gipfelfels zurückgelassenen Haken der japanischen Erstbesteiger mit.

Messner sieht das Limit bei Permits auf den Achttausendern noch nicht erreicht. "Die Zahl wird zunehmen, bis sich die Leute im Basislager vor lauter Enge und Aggressivität nicht mehr ausstehen können. Am Ende wird sich das ganze totlaufen, spätestens dann, wenn die Sekretärin eines CEO den Everest auch bestiegen hat. Dann wird es den CEO nicht mehr interessieren. Im Moment ist es eine reine Prestigeangelegenheit. Den Everest oder den Manaslu hat man gerne in seiner Vita stehen." (Thomas Hirner, 9.10.2022)