Emmanuel Macron (li.) grüßt die anwesenden Medien, die gerade die estnische Premierministerin Kaja Kallas interviewen. Frankreichs Präsident gilt als Ideengeber für den großen Gipfel von Prag.

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So beschwingt wie Liz Truss am Donnerstag über den roten Teppich im Eingangshof der Prager Burg schritt, haben EU-Partner eine Premierministerin oder einen Regierungschef aus Großbritannien schon lange nicht mehr gesehen. Dort wartete der tschechische Regierungschef Petr Fiala auf sie. Ihm als derzeitigem EU-Ratsvorsitzenden war es vorbehalten, nicht weniger als 43 seiner Kollegen aus ganz Europa zu begrüßen.

Darunter waren Staatspräsidenten wie Recep Tayyip Erdoğan aus der Türkei und natürlich Emmanuel Macron. Der Franzose hatte die Idee zu dieser Einladung im neuen Format einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPD), die in Prag aus der Taufe gehoben wurde (siehe Wissen). Fast alle Staaten des Kontinents sollen sich in Zukunft zu einem regelmäßigen Austausch treffen. Nur Belarus ist nicht dabei.

Zwei der "Gründungsmitglieder" der EPG kamen Donnerstag übrigens zu spät: Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, der in Wien offenbar bei der Verkündigung des Verteidigungshaushalts unabkömmlich war, und die Dänin Mette Frederiksen, sie hat für November vorgezogene Neuwahlen ausgerufen.

Die Briten sind dabei

Die Britin Truss war jedenfalls eine der Ersten, die zum Treffen auf dem Hradschin, dem Amtssitz des tschechischen Präsidenten, vorfuhren. Vielleicht schien sie so fröhlich, weil sie in Prag für ein paar Stunden der Wirtschafts- und Regierungskrise zu Hause entfliehen konnte.

Dass die EU zweieinhalb Jahre nach dem Brexit zu einer großen Aussprache über den Krieg in der Ukraine und zum Umgang mit Moskau bat, sollte aus ihrer Sicht wohl bedeuten: Auch ohne EU-Mitgliedschaft sind "wir Briten" doch dabei, wenn es um Sicherheit geht.

Dennoch waren die Töne der Premierministerin erstaunlich "proeuropäisch". So wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte sie in einem Beitrag für die Times, man müsse sicherstellen, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg verliere. London habe dazu bisher viel beigetragen: "Trotzdem ist unsere Antwort stärker, weil wir mit unseren europäischen Freunden zusammengearbeitet haben", schrieb Truss.

Starke Stimme ohne die EU

Sie werde sich in der Runde der Politischen Gemeinschaft dafür einsetzen, dass Nicht-EU-Länder, wie Norwegen, Schweiz und die Ukraine, "eine starke Stimme erhielten". Diese Aussagen ausgerechnet von der britischen Regierungschefin stehen symbolisch für die fundamentale politische Zeitenwende, die in Europa offenbar bevorsteht, eine Neuordnung der politischen Ordnung "ohne Russland", wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte.

Der EPG-Gipfel ist das Signal dazu, dass man in Sachen Ukraine, Energiekrise, Sanktionen "im Geiste der Einheit" vorgehen wolle, egal, ob Staaten dabei Mitglieder der EU oder noch Beitrittskandidaten oder neutrale Drittländer sind.

Fiala, der tschechische Premier, wagte sich weit vor: "Wir wissen, dass die Ukraine gewinnen wird, weil die Wahrheit auf ihrer Seite ist." Er erinnerte an die besondere Bedeutung des Austragungsorts der Gründungsversammlung, an die Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 durch die sowjetische Armee: "Dies fasst unsere Erfahrung mit der Politik Moskaus zusammen", erklärte Fiala.

Die Wahrheit setzt sich durch

Sein Motto: "Die Wahrheit setzt sich durch", so steht es auf einem Banner auf der Prager Burg. Truss formulierte robuster: Es gehe darum, "eine geschlossene Front gegen Putins Brutalität" zu bilden. Um ihre Wahrheit herauszufinden, setzten sich die 44 Regierungschefs in mehreren Arbeitskreisen zusammen, um "in offener Diskussion" ihre Optionen zu Sicherheitspolitik, zur wirtschaftlichen Lage, zu den Themen Energiekrise und Klima, zu Migration und Mobilität zu erwägen. Beim gemeinsamen Dinner sollten diese Erörterungen dann zusammengeführt werden. Konkrete Beschlüsse – etwa zum Gaspreisdeckel– sollte es nicht geben. Dafür sei dieses Format nicht gemacht.

Beinahe ebenso wichtig wie die Debatten auf der Plattform wurde von Diplomaten die Möglichkeit zu bilateralen und spontanen Treffen angeführt. Kanzler Nehammer traf mit den Spitzen von Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien zusammen, dem Vorsitzenden des bosnischen Staatspräsidiums, Sefik Dzaferovic, und Ministerpräsident Dimitar Kovacevski. (Thomas Mayer aus Prag, 6.10.2022)