Ein Wohngebiet in der ukrainischen Stadt Saporischschja wurde am Donnerstag durch einen Raketenangriff schwer beschädigt. Russland würde absichtlich Zivilisten bombardieren, um Furcht zu verbreiten, erklärte Außenminister Dmytro Kuleba.

Foto: AFP / Dimitar Dilkoff

Die Ukraine zeigt sich vom jüngsten Schachzug Moskaus weiter unbeeindruckt. Nur einen Tag nachdem der russische Präsident Wladimir Putin mit seiner Unterschrift die international nicht anerkannte "Annexion" von vier ukrainischen Gebieten besiegelt hatte, meldete Kiew erneut Erfolge bei der Rückeroberung zuvor besetzter Gemeinden. Ukrainische Truppen hätten Nowowoskresenske, Petropawliwka und Nowohryhoriwka befreit, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Nacht auf Donnerstag in seiner Videoansprache.

Die drei Gemeinden liegen allesamt in der Oblast Cherson. Diese gehört neben den Gebieten Saporischschja, Donezk und Luhansk zu den nunmehr von Russland beanspruchten Gebieten. Putin hatte zuvor angekündigt, diese mit allen Mitteln "verteidigen" zu wollen.

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Kampf um die Kampfmoral

Davon aber wollte sich wiederum Selenskyj nicht einschüchtern lassen. Russland habe ihm zufolge bereits verloren: "Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen", erklärte er. "Und immer mehr Bürger Russlands erkennen, dass sie sterben müssen, nur weil eine Person den Krieg nicht beenden will."

Mit dieser "einen Person" war zweifellos Putin gemeint. Doch ganz trifft dieser Befund Selenskyjs nicht zu. In Russland gibt es durchaus einflussreiche Kräfte, die den Krieg nicht nur fortführen, sondern angesichts der Häufung militärischer Niederlagen sogar intensivieren wollen – und auch entsprechenden Druck auf Putin ausüben. Einer der prominentesten und aggressivsten Vertreter dieser Gruppe ist Ramsan Kadyrow, Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Er hat die militärische Führung des Landes nach den letzten Niederlagen immer wieder scharf kritisiert und sich kürzlich sogar dafür ausgesprochen, den Einsatz von Atomwaffen in Betracht zu ziehen. Erst am Montag hat er zudem angekündigt, drei seiner minderjährigen Söhne in den Krieg gegen die Ukraine zu schicken.

Beförderung durch Putin

Geschadet hat Kadyrow das Schimpfen über Misserfolge an der Front nicht: Am Mittwoch ernannte ihn Wladimir Putin zum Generaloberst der Armee, er selbst zeigte sich "unglaublich dankbar" für die "große Wertschätzung". Am Donnerstag legte er auf dem Kommunikationskanal Telegram nach: Das tschetschenische Volk werde die Politik des Staatsoberhaupts überall auf der Welt voll und ganz unterstützen, schrieb Kadyrow und kündigte die Entsendung weiterer "Spezialeinheiten" in den Krieg an.

Dort gingen unterdessen auch die Kämpfe um die Stadt Saporischschja weiter. Mehrere Wohnhäuser seien durch Beschuss beschädigt worden, meldete der Gouverneur der Region. Mindestens zwei Menschen seien gestorben, unter den Trümmern wurden aber noch vermisste Personen gesucht.

Wegen der Gefahr für das nahe gelegene AKW Saporischschja wurde am Donnerstag noch Rafael Grossi, der Chef der Atomenergiebehörde IAEA, zu Beratungen in Kiew erwartet. Im Anschluss soll Grossi auch nach Moskau reisen.

Rätsel um Mord an Dugina

Neuigkeiten gab es auch bezüglich des Todes der Kriegsunterstützerin Darja Dugina, Tochter des Rechtsnationalisten Alexander Dugin. Das Auto Duginas war am 20. August bei Moskau explodiert. Wie die "New York Times" und CNN unter Berufung auf nicht genannte Quellen berichteten, gehen US-Geheimdienste nun davon aus, dass Teile der ukrainischen Regierung den Anschlag genehmigt hatten. Die USA hätten zuvor nichts von den Plänen gewusst, hieß es. (Gerald Schubert, 6.10.2022)