Noch sind die Hochöfen gut ausgelastet, doch die Industrieproduktion geht bereits zurück. Dieser Trend soll sich im kommenden Jahr noch verstärken.

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Der Krieg in der Ukraine. Eine Energiekrise in Europa, die sich gewaschen hat. Die daraus resultierende höchste Inflationsrate seit den 1970er-Jahren. Die vergangenen Monate waren wirtschaftlich herausfordernd, um es einmal vorsichtig zu formulieren, und nicht wenige haben mit einer kollabierenden Wirtschaft gerechnet in Österreich. Die Schwarzmaler haben vorerst unrecht behalten.

Die beiden wichtigsten heimischen Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS haben am Freitag ihre Herbstprognose vorgelegt. Für das Jahr 2022 ist das weniger eine Prognose als der erste Teil der Schlussrechnung, das Jahr ist ja bald vorüber. Und in den Zahlen für 2022 spiegelt sich die aktuelle Krise eigentlich kaum wider.

Die heimische Wirtschaft dürfte demnach heuer um 4,8 Prozent laut Wifo und um 4,7 Prozent laut IHS zulegen. Das ist sogar noch ein etwas größeres Plus als 2021, als der Aufschwung nach dem Pandemiejahr 2020 einsetzte. Die Arbeitslosigkeit war heuer rückläufig, die Beschäftigung ist gestiegen. Die Industrie hatte ein richtig gutes Jahr, die Exporte haben um acht Prozent zugelegt.

So weit die guten Nachrichten.

Geht es nach den beiden Instituten, dann kommt das schwierige Fahrwasser nämlich erst auf uns zu. Denn das gute Jahr 2022 war vor allem der starken ersten Jahreshälfte geschuldet, inzwischen hat sich die Konjunktur bereits abgekühlt, und dieser Trend soll sich noch verfestigen.

Korrigierte Erwartungen

Im kommenden Jahr steuert Österreich laut Wifo auf eine "Stagflation" zu, also eine Entwicklung, bei der die Inflation hoch bleibt, es aber kaum noch Wachstum gibt. Für viele Ökonomen ist das eines der schlimmeren Szenarien in einer Teuerungskrise. Solange die Wirtschaft wächst und die Nachfrage zulegt, sprudeln die Einnahmen des Staates, und die Verlierer der Inflationskrise können einfacher entschädigt werden: Es ist ja etwas da, das sich verteilen lässt. Doch wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, ist das nicht mehr möglich.

Konkret rechnet das Wifo für das kommende Jahr mit einem Miniwachstum von nur 0,2 Prozent, das IHS erwartet 0,3 Prozent. Die Inflation bleibt dagegen sehr hoch: Das Wifo erwartet 6,5 Prozent Teuerung im kommenden Jahr, nach 8,3 Prozent heuer.

Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Zunächst bekommt Österreich als kleine, offene Volkswirtschaft vor allem den globalen Konjunkturdämpfer ab. Die Güterexporte sollen im kommenden Jahr stagnieren und damit auch die Industrieproduktion. Infolge der weiterhin hohen Inflation dürfte sich der Konsum etwas abschwächen. Die Investitionen sind rückläufig. Die Folge ist dann die Stagflation.

Interessantes Detail: Im Vergleich zur Prognose vom Juni wurden die Erwartungen für heuer deutlich nach oben revidiert, von 4,3 auf die erwähnten 4,8 Prozent. Dafür deutlich nach unten für das kommende Jahr, von 1,6 auf 0,2 Prozent.

Bruttolöhne sinken, Unternehmensgewinne steigen

Wie schon bei der Prognose im Juni erwartet das Wifo weiterhin, dass die Löhne mit der Teuerung nicht werden mithalten können. Das Minus soll sogar größer ausfallen als noch vor kurzem gedacht. Inflationsbereinigt werden die Bruttolöhne heuer kräftig, um 4,2 Prozent, sinken, um im kommenden Jahr auch nur leicht, um 0,4 Prozent, zuzulegen.

Erst die Steuererleichterungen kompensieren das, die realen Nettolöhne sollen demnach heuer um 2,8 Prozent sinken und im kommenden Jahr um 4,4 Prozent zulegen.

Bemerkenswert ist, dass in der Folge dieser Entwicklungen auch die Lohnquote sinkt: von 68,6 Prozent im vergangenen Jahr auf 67 Prozent heuer. Die Lohnquote gibt an, welchen Anteil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Kuchen abbekommen, wie groß also ihr Anteil am gesamten Volkseinkommen ist. Die anderen Teile des Volkseinkommens bestehen aus den Kapitaleinkommen in Form ausbezahlter Gewinne und Zinsen sowie den Selbstständigen-Einkommen. Eine sinkende Lohnquote bedeutet also, dass Kapitaleigentümern mehr bleibt.

"Die Unternehmensprofite steigen heuer kräftig", sagt Wifo-Ökonom Christian Glocker. Das liegt an der beschriebenen Lohnentwicklung und am Konjunkturverlauf: Weil die Wirtschaft 2022 so gut lief, sprudelten auch die Unternehmensgewinne. Die Löhne werden nur ausgehend von der Inflationsrate im vergangenen Jahr angehoben, steigen also mit Verzögerung.

Im kommenden Jahr soll sich die Lohnquote etwas erholen, aber immer noch unter dem Wert von vor der Inflationskrise bleiben. Diese Entwicklung wird auch Debatten darüber Auftrieb geben, wer die Last der Krise trägt. Unternehmen sind offenbar nicht nur in der Lage, ihre höheren Kosten weiterzugeben, sie können heuer sogar ihre Profite etwas steigern.

Prompt in diese Debatte eingeschalten hat sich am Freitag auch die Arbeiterkammer. "Trotz Krise steigen die Gewinne und die Regierung will mit der Körperschaftsteuersenkung noch was oben drauf legen. Das kann es nicht sein. Wir brauchen eine Diskussion darüber wer diese Krise bezahlen soll", sagte der AK-Steuerexperte Dominik Bernhofer.

Im Zuge der noch unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz fixierten türkis-grünen Steuerreform wurde beschlossen, dass die Körperschaftssteuer im kommenden Jahr und dann nochmal 2024 um ein Prozentpunkt sinken soll.

Arbeitsmarkt und Schuldenstand stabil

Die Entwicklung am Arbeitsmarkt soll laut Prognose robust bleiben. Die Arbeitslosigkeit dürfte leicht steigen, um 17.000 Personen, nach einem zwei Jahre anhaltenden Rückgang. Die Arbeitslosenquote wird damit auch im kommenden Jahr deutlich unter dem Niveau von vor der Pandemie bleiben. Dafür verantwortlich ist ein Mix an Ursachen, unter anderem dass Betrieben viele Beschäftigte fehlen und sie sich daher selbst in einer Flaute nicht so leicht von ihren Mitarbeitern trennen wollen.

Interessant ist schließlich, dass trotz all der vielen staatlichen Rettungs- und Hilfspakete die zentralen Kennzahlen zur Verschuldung der Republik unauffällig bleiben. Das Defizit des Staates soll heuer bei 3,5 Prozent und im kommenden Jahr bei 1,7 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) liegen. Warum die Zahl im kommenden Jahr trotz der vielen Zusatzausgaben, Stichwort Strompreisbremse und Steuersenkungen, so niedrig bleiben wird?

Weil das Defizit immer in Relation zur Wirtschaftsleistung dargestellt wird. Dank der hohen Inflation nimmt aber auch die Wirtschaftsleistung stark zu, das BIP misst ja den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen zu laufenden Preisen. Das BIP-Wachstum zeigt den realen Anstieg der Wirtschaftsleistung an und ist preisbereinigt. (András Szigetvari, 7.10.2022)