Oslo – Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an den belarussischen Menschenrechtler Ales Bjaljazki, die russische Menschenrechtsorganisation Memorial und das ukrainische Center for Civil Liberties (CCL). Das teilte das Nobelkomitee am Freitag mit.

Die Preisträger "haben sich in herausragender Weise für die Dokumentation von Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Machtmissbrauch eingesetzt", lautete die Begründung. "Gemeinsam zeigen sie die Bedeutung der Zivilgesellschaft für Frieden und Demokratie."

Ales Bjaljazki ist derzeit in Haft.
Foto: EPA / Tatyana Zenkovich

Der 60-jährige Bjaljazki begann Ende der 1980er-Jahre, sich politisch zu engagieren, indem er in Belarus Protestaktionen zum Gedenken an Opfer des Stalinismus durchführte. 1991 gründete er mit anderen die Belarussische Volksfront Adraschenje, um den Prozess der Demokratisierung zu unterstützen.

Wegen Steuerhinterziehung verurteilt

Fünf Jahre später folgte die Gründung der Menschenrechtsorganisation Wjasna mit dem Ziel, politische Gefangene und deren Angehörige zu unterstützen. Er selbst wurde 2011 zu einem, als er festgenommen und wegen Steuerhinterziehung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. EU, USA und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisierten das Verfahren als politisch motiviert. 2014 wurde er überraschend vorzeitig freigelassen.

Im Gefolge der Proteste gegen das Regime von Staatschef Alexander Lukaschenko nach der belarussischen Präsidentenwahl 2020 wurde er im Juli 2021 wieder festgenommen, seitdem ist er in Haft. Er hat bereits mehrere hochrangige Auszeichnungen erhalten, darunter den Right Livelihood Award (Alternativen Nobelpreis) 2020 sowie den Václav-Havel-Menschenrechtspreis des Europarats 2013.

Freilassung gefordert

Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobelkomitees, forderte die Behörden in dem autoritär regierten Land auf, Bjaljazki freizulassen. "Wir hoffen inständig, dass das geschehen wird und dass er nach Oslo kommen kann, um seine Ehrung entgegenzunehmen", sagte die Vorsitzende des Nobelkomitees.

Die Ehefrau Bjaljazkis, Natalja Pintschuk, sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie sei "überwältigt von ihren Gefühlen" und "dankbar". Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja schrieb auf Twitter von einer "Anerkennung für alle Belarussen, die für Freiheit und Demokratie kämpfen".

Memorial, seit Dezember 2021 in Russland verboten.
Foto: AFP/ALEXANDER NEMENOV

Liste über politische Gefangene

Die russische Organisation Memorial entstand 1987 in der Zeit von Glasnost und Perestroika und konzentrierte sich zunächst auf die Dokumentation der Verbrechen der Stalin-Ära. Die Gruppe hat sich in jüngerer Zeit auch gegen die Unterdrückung von Dissidenten unter Präsident Wladimir Putin ausgesprochen und führt eine Liste über politische Gefangene in Russland.

Im Dezember 2021 beschloss das oberste Gericht in Russland die Auflösung von Memorial. Als Begründung wurde angeführt, dass die Organisation gegen das höchst umstrittene Gesetz über "ausländische Agenten" verstoße. Das Gesetz sieht vor, dass Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland als "Agenten" bezeichnet werden können. Seitdem besteht Memorial im Ausland weiter. Schon 2004 erhielt die Organisation so wie Bjaljazki den Right Livelihood Award.

Kritiker des russischen Präsidenten Putin sehen in dem 2012 verabschiedeten und 2020 ausgeweiteten Gesetz über "ausländische Agenten" ein politisches Instrument, um Oppositionelle und zivilgesellschaftliche Gruppen zum Schweigen zu bringen. Im Juni 2022 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), das Gesetz stelle einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention dar.

Olexandra Matwijtschuk, Vorsitzende des Center for Civil Liberties.
Foto: REUTERS/Roselle Chen

Russische Kriegsverbrechen aufdecken

Und auch der der dritte heurige Friedensnobelpreisträger, das ukrainische Center for Civil Liberties (CCL), hat bereits den Alternativen Nobelpreis gewonnen, und zwar erst vor etwas mehr als einer Woche. Die 2007 gegründete Organisation will Menschenrechte und Demokratie unterstützen. International bekannt wurde sie, als sie 2013 und 2014 Menschenrechtsverletzungen bei der Niederschlagung der Euromaidan-Proteste dokumentierte und Opfern Rechtshilfe anbot. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann CCL, russische Kriegsverbrechen aufzudecken und zu dokumentieren.

Insgesamt 343 Kandidatinnen und Kandidaten – darunter 251 Personen und 92 Organisationen – waren in diesem Jahr für die Auszeichnung nominiert. Die Namen der Nominierten werden traditionell 50 Jahre lang geheim gehalten.

Der Friedensnobelpreis wird als einziger Nobelpreis nicht in Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo vergeben. Dotiert sind alle Nobelpreise in diesem Jahr erneut mit zehn Millionen schwedischen Kronen (knapp 920.000 Euro). Überreicht werden sie allesamt am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter und Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833–1896). (red, APA, 7.10.2022)