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Eigentlich mag ich Männer. Jemand mit meiner Reputation und meinen Themenschwerpunkten muss das offenbar regelmäßig klarstellen, weil ich andernfalls als Männerhasser gelte. Das liegt hauptsächlich daran, dass ein Großteil meiner Arbeit darin besteht, meinen Geschlechtsgenossen mehr oder weniger detailreich und überspitzt zu erklären, worin wir versagen. Was wir schlecht machen. Wieso wir bestimmte Zusammenhänge einfach nicht begreifen können oder wollen. Warum wir uns weigern, für unsere eigene Emanzipation Verantwortung zu übernehmen.

Manchmal, und nicht nur manchmal, verzweifle ich dabei an der Renitenz und der Ignoranz von Männern. Dann würde ich dieses ganze Themenfeld am liebsten hinschmeißen und den Rest meines Lebens damit verbringen, tatsächlich die Verachtung für Männer zu entwickeln, die mir so oft unterstellt wird. Die ich mit gutem Recht hegen könnte, weil die Dinge so sind, wie sie nun einmal sind. In diesen Momenten frage ich mich, wieso wir uns eigentlich nicht in Grund und Boden schämen. Ist es uns nicht peinlich, als Populationsgruppe die überwältigende Mehrzahl der Schwerverbrecher zu bilden?

Vor uns werden Frauen und marginalisierte Gruppen gewarnt. Von uns geht Gefahr aus. Wir führen Kriege. Wir verschleiern Frauen. Wir stellen ihnen nach, beuten sie aus, schlagen und vergewaltigen sie. Wir machen Dinge kaputt. Wir zerstören Menschen. Jeden Tag hätten wir spätestens zu den Abendnachrichten allen Grund, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und laut aufzuschreien, dass es so mit uns wirklich nicht weitergehen kann. Aber jeden Tag passiert zu den Abendnachrichten genau gar nichts. Irgendwo auf der Welt schränken Männer sexuelle Selbstbestimmungsrechte ein? Tja, kann passieren. Irgendwo anders werden Schwule verfolgt und massakriert? Haben wir ja nichts mit zu tun.

Bro-Code durchbrechen

Männer der katholischen Kirche begehen über Jahrzehnte grausame Sexualstraftaten mehrheitlich an Jungen? Schon schlimm so was, weiter geht's. Nichts, absolut nichts scheint in der Lage zu sein, diesen "Läuft bei uns"-Bro-Code zu durchbrechen. Egal wie widerlich, menschenverachtend und gewalttätig es seit hunderten Jahren zur Sache geht. So unerträglich ist das Ganze, dass man sich am liebsten nur noch auf Publikumsbeschimpfungen verlegen will: Was ist mit euch?! Wieso seid ihr solche Arschlöcher und findet das auch noch geil? Warum seid ihr eine Schande für alle, die euch jemals geliebt und sich die Mühe gemacht haben, euch zu anständigen Menschen zu erziehen?

Aber erstens wäre es ziemlich selbstgefällig und verlogen, mich da einfach auszunehmen. Und zweitens funktioniert es nicht. Glauben Sie mir, ich habe es versucht. Und ich werde es wohl auch immer wieder tun, weil ich immer wieder in Versuchung gerate. Männer haben nachvollziehbarerweise kein Interesse daran, sich beschimpfen zu lassen. Sie wachen davon nicht auf, sie lassen sich davon nicht beeindrucken und sehen dadurch auch ganz sicher nicht die Notwendigkeit ein, ihr Verhalten zu ändern. Schade, das mit dem Beschimpfen kann ich so gut. Ist auch sehr ressourcensparend und wenig aufwendig.

Heteronormative Männlichkeit in Grund und Boden zu schreiben und in Brand zu stecken ist einfach. Ich tue das ziemlich häufig, ich weiß, wovon ich rede. Perspektiven entwickeln, freundlich bleiben, Einladungen aussprechen – das wiederum sind die Dinge, die hier und da nachhaltig jemanden bewegen und verändern können und genau darum unheimlich schwer zu machen sind. Denn die Alternativen dazu gibt es ja auch noch.

Eingebaute Patriarchatssicherung

All die Anleitungen dafür, mit Macht und etwas mehr Charme als früher wieder zum üblichen Arschlochtum zurückzukehren, damit Mann endlich wieder das bekommt, was ihm vorgeblich zusteht. Diese eingebaute Patriarchatssicherung, die Männern vermittelt, dass sie sich bloß nicht zu sehr mit ihrem Innenleben beschäftigen sollen, ja nicht zweifeln, revidieren oder gar Verunsicherung zulassen und sich korrigieren dürfen, macht die Sache auch nicht einfacher. Deshalb nicht ganz und gar dem Zynismus zu verfallen ist Schwerstarbeit (falls Sie wissen sollten, wie das geht, geben Sie mir gerne Bescheid).

Nur baut man mit Zynismus keine neue Welt, die wir alle so dringend gebrauchen könnten. Eine Welt mit zärtlichen, freundlichen, gewaltfreien und gütigen Männern, die einander den Rücken stärken, anstatt ihn sich gegenseitig zu brechen. Die Frauen als gleichwertig betrachten statt als Ressource und Objekt. Die sich und andere endlich wichtig nehmen, anstatt alle mit ihrer unsäglichen, an Minderwertigkeitskomplexe geketteten Überheblichkeit zu strafen. Keine Ahnung, ob das gelingen kann. Aber es klingt zu gut, um es nicht zumindest zu versuchen. (Nils Pickert, 10.10.2022)