Zahlreiche Menschen, darunter Oppositionskandidatin Jelena Trivić (Mitte), demonstrierten am Donnerstagabend in Banja Luka. Sie fordern eine Neuauszählung der Stimmen.

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Am Donnerstagabend gingen tausende Anhänger der Opposition in Banja Luka auf die Straße. Nach den Wahlen vom Sonntag behauptet die Opposition nämlich, dass ihre Kandidatin Jelena Trivić von der PDP die Wahlen zur Präsidentin des Landesteils Republika Srpska gewonnen habe und nicht Milorad Dodik, Chef der SNSD. Laut den offiziellen Wahlergebnissen der Zentralen Wahlkommission liegt Dodik mit etwa 28.000 Stimmen vor Trivić.

Allerdings wurden auffällig viele Stimmen für ungültig erklärt (etwa 35.000), und Trivić konnte nachweisen, dass selbst in ihrem Heimatdorf keine einzige Stimme für sie abgegeben wurde, obwohl dort ihre Eltern leben. Branislav Borenović, der Chef der PDP, meinte: "Wir haben einen Antrag auf Neuauszählung der Stimmen gestellt, weil wir Hunderte von Unregelmäßigkeiten festgestellt haben. Mehr als 65.000 Stimmen sind merkwürdig. Fast 35.000 Stimmen sind ungültig." Am stärksten habe man Unregelmäßigkeiten in den Städten Doboj und Zvornik feststellen können.

Neuauszählung gefordert

Allein die Tatsache, dass Trivić so nahe an Dodik herankommt, zeigt schon, dass dieser nicht mehr so fest im Sessel sitzt. "Wer verliert, hat das Recht, wütend zu sein", sagte Dodik zu den Demonstrationen. Die Opposition hatte zuvor die Zentrale Wahlkommission in Sarajevo aufgefordert, die Stimmen neu auszuzählen und die Wahlen zu wiederholen. Allerdings können in Bosnien-Herzegowina selbst die versiegelten Behälter, in denen die Wahlzettel nach der Auszählung aufbewahrt werden, Augenzeugen zufolge manipuliert werden.

Einige Oppositionelle in der Republika Srspka kritisierten auf der Demonstration nicht nur die Auszählung, sondern auch den Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, weil dieser dem Druck der USA und Kroatiens nachgegeben und noch am Wahltag die Verfassung der Föderation und das Wahlgesetz per Dekret verändert hatte, obwohl dies allen internationalen Normen und Gepflogenheiten widerspricht und als direkte Einmischung in die Wahlen gesehen wird.

Verluste wegen Ehefrau

Am Sonntag hatten in Bosnien-Herzegowina sowohl die Wahlen für das dreiköpfige Staatspräsidium, den oder die Präsidentin des Landesteils Republika Srpska (RS) als auch die Parlamentswahlen auf Staatsebene und auf den Ebenen der beiden Landesteile RS und Föderation sowie die Wahlen zur Kantonsvertretung stattgefunden.

Überraschend war an den Wahlen, dass der Sozialdemokrat Denis Bećirović, der als bosniakisches Mitglied im Staatspräsidium kandidierte, haushoch gegen den Chef der bosniakisch-konservativen SDA, Bakir Izetbegović, gewann, nämlich mit 57 Prozent der Stimmen. Izetbegović, der Sohn des ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit 1992, Alija Izetbegović, ist schon lange in der bosnischen Politik. Seine schwindende Popularität hat vor allem mit seiner Frau Sebija Izetbegović zu tun, die, auch in ihrer Funktion als Leiterin des Universitätskrankenhauses in Sarajevo, als autoritär verschrien ist.

Ähnliches Ergebnis wie 2018

Als serbisches Mitglied des Staatspräsidiums gewann Željka Cvijanović von der SNSD. Das Parlament auf Staatsebene wird mit Abgeordneten aus den beiden Landesteilen Republika Srpska und Föderation beschickt. In der Republika Srpska gewann bei den Parlamentswahlen ebenfalls die serbisch-separatistische SNSD mit 42 Prozent, gefolgt von der SDS mit über 18 Prozent.

In der Föderation gewann wieder die bosniakische SDA mit 25 Prozent und liegt damit gleichauf wie 2018, gefolgt von der kroatisch-nationalistischen HDZ mit 15 Prozent, ebenfalls so wie 2018. Die Sozialdemokraten bekamen ein bisschen weniger als 2018, nämlich über 13 Prozent, etwas zulegen konnte die Demokratska Fronta, die über zehn Prozent der Stimmen bekam. Die nationalistische "Volk und Gerechtigkeit", eine Abspaltung der SDA, landete bei acht Prozent, 2018 hatte sie nur etwa zwei Prozent bekommen.

Nationalisten bleiben stark

Insgesamt zeigen die Wahlen, dass die großen nationalistischen Parteien ihre Machtstellung konsolidieren, ja zuweilen sogar ausbauen konnten. Nur die Chefs der großen nationalistischen Parteien, sowohl Izetbegović als auch Milorad Dodik, kamen bei der Direktwahl unter Druck. Abgesehen davon hat sich nach den Wahlen in Bosnien-Herzegowina die politische Landschaft kaum geändert. Schaut man in die Kantone, so ist ersichtlich, dass die kroatische HDZ vor allem rund um Livno Konkurrenz durch die "Kroatische Nationale Verlagerung" hat.

Den Ergebnissen zufolge könnte der Ministerrat auf Staatsebene – die Regierung von Bosnien-Herzegowina – auch ohne die beiden nationalistischen Parteien SNSD und HDZ von Dodik und Dragan Čović gebildet werden, die seit Jahren miteinander verbündet sind. Das Mandat für die Einberufung des Ministerrats von Bosnien und Herzegowina wird vom Staatspräsidium gegeben. Gemäß der Verfassung ist für diese Entscheidung kein Konsens erforderlich. Daher könnten die Nichtnationalisten Željko Komšić und Denis Bećirović die Nationalistin von der SNSD, Željka Cvijanović überstimmen und eine Entscheidung über die Ernennung eines Vertreters treffen.

Einfluss aus dem Ausland

Eine Regierung ohne SNSD und HDZ würde aber wohl durch das mächtige Haus der Völker boykottiert werden. Diplomaten zufolge wollen die USA, deren Vertreter sich – ähnlich wie jene der EU, insbesondere Kroatiens – zuweilen in die bosnische Innenpolitik einmischen, als handle es sich um ein Kolonialgebiet, eine Regierung ohne die bosniakische SDA. Dies hat möglicherweise auch damit zu tun, dass andere Parteien nicht so groß sind und deshalb möglicherweise weniger Widerstände gegen eine Einflussnahme aus dem Ausland zeigen. (Adelheid Wölfl, 7.10.2022)