Wien – Die Redaktionssprecherinnen und Redaktionssprecher von FM4 laden Ingrid Thurnher nach ihrem Interview über eine mögliche Neupositionierung des Alternative-Senders zur Aussprache vor der Mannschaft des Senders ein. In einem internen Schreiben zeigen sie sich "irritiert" von den Plänen der ORF-Radiodirektorin aus dem STANDARD-Interview vor einer Woche. Dort nannte Thurnher ein "junges Ö3" als mögliche Positionierung von FM4 – die im ORF nach STANDARD-Infos schon länger diskutiert wird.
"Welcher gesellschaftliche Nutzen?"
"FM4 ist ein Sender für Sub-, Pop- und Alternativkultur, der den öffentlich-rechtlichen Auftrag ernst nimmt", betonen die Redaktionssprecherinnen in ihrem Schreiben. "Unklar ist nicht nur uns, welchen gesellschaftlichen Nutzen ein weiterer Mainstream-orientierter, auf Durchhörbarkeit getrimmter Sender haben soll – gibt es diese im privaten Sektor doch bereits zuhauf."
Die Redaktion von FM4 "will weiterhin ein Ort für Innovationen sein und scharfkantige, unbequeme und relevante Formate entwickeln, on air und online. Leider werden wir durch das ORF-Gesetz und den jahrzehntelangen Sparkurs des Unternehmens daran gehindert, unsere Zielgruppe adäquat abzuholen."
Die Redaktionssprecherinnen fordern "die Geschäftsführung und die Medienpolitik des Landes dazu auf, dafür zu sorgen, dass Radio FM4 den öffentlich-rechtlichen Auftrag weiterhin erfüllen und damit seinen Beitrag zur Pluralität der Medienlandschaft und der österreichischen Kulturszene leisten kann".
Protestbrief im Wortlaut
Das Schreiben der Redaktionssprecherinnen von FM4 an Radiodirektorin Ingrid Thurnher im Wortlaut:
"Einmal mehr hat die FM4-Redaktion aus den Medien von Ihren möglichen Plänen für den Sender FM4 erfahren, eine Vorgangsweise, die uns zumindest irritiert. In diesen Plänen wird der Jugendkultursender FM4 dabei aus einem rein wirtschaftlichen Blickwinkel betrachtet. Diverse Studien und Analysen sollen Aufschluss über Zielgruppen und deren Nutzungsverhalten geben. Hierbei fällt häufig unter den Tisch, dass gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Medien wie FM4 Gegenpole zu Privatsendern und Formatradios und deren primären Interessen der Gewinnmaximierung sind.
Öffentlich-rechtliches Radio hat nicht nur einen gesetzlichen Auftrag, sondern auch einen gesellschaftlichen Nutzen. Der journalistische, öffentlich-rechtliche Grundauftrag darf niemals rein marktwirtschaftlichen Interessen folgen. Er ist eine wichtige Säule der westlichen Demokratien, muss unbestechlich bleiben und darf, ja muss manchmal unbequem sein.
Wir sind der Überzeugung, dass es von unseren Hörer:innen gewünscht und geschätzt wird, in unserem Programm in Musik und Wort mit Zugängen, Haltungen und Ideen konfrontiert zu werden, die durchaus fordernd sind und den Horizont und Diskurs in unserer Gesellschaft erweitern. Wer, wenn nicht gebührenfinanzierte, öffentlich-rechtliche Medien, können – und müssen – das leisten?
Der Rückhalt und die Wertschätzung von Seiten unserer Hörer:innen sowie aus der Musik- und Kulturszene dieses Landes tut gut und zeigt, dass unsere Arbeit auch ökonomisch einen großen positiven Effekt hat: Gerade auch in den Bereichen Musik und Literatur bietet FM4 eine wichtige Plattform für Nachwuchstalente. Bestes Beispiel sind international erfolgreiche Musiker:innen wie Wanda, Soap & Skin und Bilderbuch oder Autor:innen wie Cornelia Travnicek, Gertraud Klemm oder Didi Drobna, die vor ihrem großen Erfolg bei FM4 'at home' gewesen sind – und sich auch weiterhin bei uns zu Hause fühlen. Musik, Literatur, Film und Gameskultur aus Österreich finden bei FM4 den Platz, den ihm andere Frequenzen nicht zugestehen wollen. Damit leistet FM4 auch wichtige Aufbau- und Kulturarbeit. FM4 ist ein Sender für Sub-, Pop- und Alternativkultur, der den öffentlich-rechtlichen Auftrag ernst nimmt
Dass dieser Effekt nicht nur in Österreich wahrgenommen wird, sondern über den ganzen deutschsprachigen Raum und auch international, vernehmen wir aus weltweiten Reaktionen von Hörer:innen, Künstler:innen und Medien: Sie beneiden Österreich um FM4, hören bzw. lesen wir dabei immer wieder.
Unklar ist nicht nur uns, welchen gesellschaftlichen Nutzen ein weiterer Mainstream-orientierter, auf Durchhörbarkeit getrimmter Sender haben soll – gibt es diese im privaten Sektor doch bereits zuhauf. Die Redaktion von FM4 will weiterhin ein Ort für Innovationen sein und scharfkantige, unbequeme und relevante Formate entwickeln, on air und online. Leider werden wir durch das ORF-Gesetz und den jahrzehntelangen Sparkurs des Unternehmens daran gehindert, unsere Zielgruppe adäquat abzuholen.
Für die Umsetzung neuer Ideen braucht es klare gesetzliche Rahmenbedingungen, finanzielle Ressourcen und vor allem eine Führungsebene, die der Redaktion den Rücken stärkt. Wir fordern die Geschäftsführung und die Medienpolitik des Landes dazu auf, dafür zu sorgen, dass Radio FM4 den öffentlich-rechtlichen Auftrag weiterhin erfüllen und damit seinen Beitrag zur Pluralität der Medienlandschaft und der österreichischen Kulturszene leisten kann.
Wir würden Sie gerne einladen, in einen Austausch mit der Redaktion zu treten und in einer Vollversammlung Ideen für die Zukunft von FM4 zu diskutieren.
Mit freundlichen Grüßen
Die Redaktionssprecher:innen von Radio FM4"
(fid, 7.10.2022)