Philipp Lehner ist seit Anfang 2021 CEO der Alpla Group mit Sitz in Hard.

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Philipp Lehner lädt in Hard zum Interview. Seit Anfang 2021 ist er CEO der Alpla Group mit Sitz in Vorarlberg. Das Unternehmen will zukünftig neben der Produktion von Kunststoffverpackungen verstärkt auf deren Sammlung und Recycling nach Konsum setzen.

STANDARD: Herr Lehner, in einem Ihrer Tiktok-Videos erklären Sie, warum es sinnvoll ist, Gurken in Plastikfolie zu verpacken. Kaufen Sie nur plastikverpacktes Obst und Gemüse?

Lehner: Ich glaube fest an Kunststoff, aber so stringent in jeder Lebenshandlung setze ich es auch nicht um. Fakt ist aber, dass Kunststoff Lebensmittel schützt und Vorteile in der Lieferkette hat.

STANDARD: "Plastic is fantastic" ist auch eines Ihrer Statements auf Tiktok. Glauben Sie, die Generation Greta so abholen zu können?

Lehner: Mir ist wichtig, der öffentlichen Debatte eine zweite Sichtweise hinzuzufügen und sie um den Blickwinkel Kunststoff und seine Vorteile – in anderen Worten: "plastic is fantastic" – zu erweitern. Die Debatte dreht sich zwar derzeit, wird aber grundsätzlich sehr einseitig und in letzter Konsequenz nicht immer durchdacht geführt.

STANDARD: Was ist denn so "fantastic" an "plastic"? Plastik und Mikroplastik sind häufig für Umweltverschmutzung verantwortlich. Halten Sie es für verantwortungsvoll, noch mehr Plastik zu produzieren?

Philipp Lehner (37) hat in London und Harvard studiert, in Iowa City und Atlanta gearbeitet.
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Lehner: Das Thema Plastik ist sehr vielschichtig. Der Lebensstandard, den wir heute haben, beruht auch darauf, dass Kunststoff seit den 50er-Jahren Einzug gehalten hat. Stellen Sie sich Ihre Wohnung ohne Kunststoff vor. Da würde wahrscheinlich wenig drin stehen. Und Sie müssten viel mehr Zeit mit Dingen verbringen, die Sie jetzt einfach nur so nebenher machen.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Lehner: Die Waschmaschine. Waschen wäre um einiges aufwendiger, gäbe es nicht Maschinen, die großteils aus Kunststoff bestehen und deshalb erschwinglich und breitflächig bereitstehen. Kunststoff ist ein Material, das sich gut formen lässt, hygienisch, formstabil und preiswert ist. Darüber hinaus kann es mit relativ wenig Energie verarbeitet werden. Die Produktion einer Glasflasche benötigt zwei- bis dreimal mehr Energie.

STANDARD: Aber ist die Produktion von neuem Kunststoff langfristig nicht umweltschädlicher?

Lehner: Da gibt es zwei Aspekte. Einer davon ist der daraus bis zu einem gewissen Grad resultierende Mikrokunststoff. Dazu gibt es eine Studie vom Kieler Meeresinstitut, die besagt, dass Mikrokunststoffe nicht den negativen Effekt auf Meereslebewesen haben, wie in den letzten fünf bis zehn Jahren kolportiert worden ist. Aber von dem einmal abgesehen, ist die Frage, wie wir nach der Verwendung mit Kunststoff umgehen, ein Thema. Danach richten wir auch unser Geschäft aus. Kunststoff kann mit relativ wenig Aufwand, relativ kosteneffizient recycelt werden. Relativ, weil im Moment die Energie teurer wird.

Unser Lebensstandard hat sich weiterentwickelt. Was sich aber nicht im gleichen Maße mitentwickelt hat, ist die Infrastruktur für Konsumgüter, die wir täglich konsumieren. Mitteleuropa und Österreich sind ein Vorzeige-Umfeld, wo relativ viel im Kreislauf geführt wird. Wir haben Kapazitäten, Dinge aufzunehmen, zu sortieren, zu reproduzieren, und das funktioniert relativ gut. Alpla ist in 47 Ländern aktiv, und in vielen Ländern ist das System noch nicht so ausgeprägt. Das ist schade, aber auch eine Opportunität.

STANDARD: Sie haben Alpla Anfang 2021 von Ihrem Vater übernommen und einmal gesagt: "Wir mussten viel reden und abstimmen, was beide Parteien wollen." Was wollten Sie denn so Unterschiedliches?

Lehner: Es war in unserem Generationswechsel wichtig, früh darüber zu reden, um dort rauszukommen, wo wir rauskommen wollen. Wir sind ein Familienunternehmen und stolz drauf. Nichtsdestotrotz müssen die Dinge bestmöglich funktionieren, und das frühe Reden hat ermöglicht, dass ich mich ordentlich auf die Rolle vorbereiten und mein Vater mir Input geben konnte. Eine meiner ersten Fragen war, was ich tun muss, damit ich ready bin. Er hat gesagt, ich soll das Geschäft von außen kennenlernen. In Hard ist der Hauptsitz, und hier laufen die Dinge nach den eigenen Regeln. Aber draußen ist der Kunde – und den gilt es bestmöglich zu servicieren. Das war ein sehr guter Ratschlag. Mein Vater hilft mir auch heute noch.

STANDARD: Der Alpla-Vorstand zählt derzeit fünf Männer. Finden sich keine geeigneten Frauen für derartige Führungspositionen?

Lehner: Das kann ich nicht sagen, wahrscheinlich schon. Wir haben einen Führungskreis, der sehr stabil ist mit vielen langjährigen Mitarbeitern und relativ wenig Wechsel. Wenn wir wechseln, schauen wir, dass wir die geeignetste Person einstellen.

STANDARD: Als CEO legen Sie den Schwerpunkt auf Kreislaufwirtschaft und Recycling-Fußabdruck. Welche Bilanz ziehen Sie nach den ersten eineinhalb Jahren?

Lehner: Wir haben die Beratung fokussiert. Das betrifft große Konsumgüterhersteller, die Unterstützung brauchen, um die Lieferkette für Verpackungen nachhaltiger zu gestalten. Da haben wir Akzente gesetzt, um Farben zu reduzieren, vereinheitlichende Materialien anzustreben und Lieferketten zu verkürzen. Wir haben auch Investments forciert, um beim Recycling aktiver zu sein.

STANDARD: Welche Investments?

Lehner: In Mexiko haben wir gerade ein Recyclingwerk gebaut, ein zweites angefangen. In Thailand haben wir erst kürzlich eröffnet, und nächstes Jahr wollen wir zwei weitere Projekte ins Leben rufen: In einem Land, in dem die Infrastruktur nicht gegeben ist, entwickeln wir ein Sammelnetzwerk mit bis zu 1.000 Leuten, um den Materialstrom zu sichern. Gleichzeitig geben wir den Menschen die Möglichkeit, Einkünfte zu generieren.

Philipp Lehner sieht die Debatte rund um Plastik zu einseitig geführt.
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STANDARD: Könnte die Papierflasche, die Alpla derzeit mit einem schwedischen Start-up entwickelt, eine Revolution starten?

Lehner: Wir glauben an Kunststoff. Zu Kunststoff gibt es mit dem momentanen Lebensstandard keine Alternative. Nichtsdestotrotz müssen wir uns darum kümmern, Produkte ins Leben zu rufen, die vielleicht auch irgendwann mit den gleichen Vorteilen, gleichen Charakteristika, gleichen Preisgefügen am Markt angeboten werden können. Die Papierflasche ist eines dieser Forschungsprojekte. Sie könnte eine neue Revolution starten.

STANDARD: Wird die Papierflasche teurer sein?

Lehner: Es kommt auf die Größe an, aber ja, sie wird wahrscheinlich drei- bis fünfmal teurer sein im Vergleich zu alternativem Kunststoff.

STANDARD: Glauben Sie, dass sich das Unternehmen leisten wollen angesichts der aktuellen Teuerungen?

Lehner: Es gibt verschiedene Märkte mit verschiedener Preisstruktur und verschiedenen Auftritten. Es wird auch Marken geben, die in diese Technologie frühzeitig investieren. Währenddessen arbeiten wir daran, das Ganze massentauglicher zu machen. Aber da gibt es ein, zwei technische Themen, die wir auf dem Weg dorthin lösen müssen.

STANDARD: Es ist technologisch auch möglich, Plastikflaschen vollständig aus recyceltem Kunststoff herzustellen. Haben Sie Ideen, damit zu hundert Prozent recycelt wird?

Lehner: Ich bin fest davon überzeugt, dass hundert Prozent keinen Sinn macht. Das System hat immer einen Schlupf (Materialverlust, Anm.). Selbst beim Pfandsystem kommen nur 90 bis 95 Prozent der Materialien an. Dadurch wird die Menge, die schlussendlich bereitsteht, immer geringer sein als die Menge, die ich eingebe. Das andere ist, dass im Recyclingprozess Verunreinigungen auftreten, sodass wir einen gewissen Anteil vom Material nicht weiterverwenden können. Wenn alle 100 Prozent Recycling fahren, gibt es ein Gerangel um zu wenig Material. Das wird nicht funktionieren. Da könnten sich nur Premium-Brands das Material leisten. Wichtig wäre, dass wir ein System generieren, wo das Angebot die Nachfrage auf eine gewisse Art und Weise deckt. Da ist 100 Prozent Recycling sicher zu hoch, um die 70 Prozent wäre angebracht.

STANDARD: Wenn wir von heute auf morgen nur noch zu 100 Prozent recyceln, hätten wir zu wenig Material? In meinem Kopf sehe ich Bilder riesiger Berge von Plastikflaschen.

Lehner: In den Ozeanen besteht der Kunststoffmüll zu über 50 Prozent aus Fischernetzen. Der Rest der Gebrauchsgegenstände wird von fünf bis zehn Flüssen ins Meer getragen. Wo der Müll herkommt, ist also relativ gut zuzuordnen. Was auch gut ist, weil dann kann man dezidiert Aktionen setzen, um dem entgegenzuwirken. Dazu brauchen wir Systeme. Wir müssen Materialien, die wir fürs tägliche Leben brauchen, einen Wert geben. Dann löst sich das Sammelproblem relativ leicht, weil dann lassen sich Leute finden, dann lassen sich Firmen finden, dann lässt sich Infrastruktur aufbauen, um diese Sammlung zu organisieren. Und darum ist es so wichtig, dass wir Märkte generieren, die in unserem Fall das Thema der leeren unkontrollierten Verpackungen lösen können.

STANDARD: Hat die Plastikflasche überhaupt eine Zukunft?

Lehner: Absolut. Die Plastikflasche leistet einen wichtigen Beitrag, um den Lebensstandard zu erhalten. Was wir uns überlegen müssen, ist, wie wir das System rundherum organisieren.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie wollen in einer Firma arbeiten, die dreimal so groß ist wie Alpla. Ist das auch heute Ihr Anspruch, immer weiterzuwachsen?

Lehner: Diesen Satz habe ich in einer Sturm-und-Drang-Phase gesagt. Wenn man einen erfolgreichen Vater hat, muss man daran arbeiten, seinen Platz zu finden. Aber ja, weiterzuwachsen ist jedenfalls ein Ziel. (Julia Beirer, 9.10.2022)