Es dürfte noch viele weitere Hans Niemanns geben.

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Mayrhofen/Oslo – "The Queen's Gambit", der Netflix-Hit von 2020 mit der wunderbaren Anya Taylor-Joy in der Hauptrolle, war nur der Anfang. Jetzt läuft die nächste Serie, sie bringt dem Schachsport noch mehr Aufmerksamkeit, der Unterschied ist, sie läuft im wirklichen Leben, nicht auf Netflix. Das Ende ist noch lange nicht absehbar, gut möglich, dass der ersten Staffel ("Der Fall Hans Niemann") weitere folgen werden.

Derzeit halten wir dort, dass es einen mutmaßlichen Bösewicht gibt, eben Niemann, der zugibt, in jungen Jahren ab und zu beim Onlineschach gecheatet zu haben, dies aber wohl öfter und auch dann tat, wenn Preisgeld ausgelobt war. Und es gibt einen mächtigen Weltmeister (Magnus Carlsen) an der Spitze einer Phalanx, die den Jungspund auflaufen lassen will. Der Champ behauptet, der Bösewicht habe auch OTB ("over the board") geschummelt, tut sich aber schwer, dies zu beweisen.

Doch schon deutet sich an, dass die Geschichte ganz andere Ebenen erreichen wird. Gerüchten zufolge wird die zweite Staffel unter dem Titel "Spitze des Eisbergs" laufen. Chess.com, mit mehr als 85 Millionen Mitgliederaccounts die wichtigste Schachplattform weltweit und geschäftlich mit Carlsen stark verbandelt, gab bekannt, dass es nicht nur die Causa Niemann gibt, sondern viele weitere Fälle.

"Viel zu anfällig"

Zwei Dutzend Großmeister, auch ein Quartett aus den Top 100, wurden laut Chess.com so auffällig, dass die Plattform ihnen drohte, sie zu sperren, sollten sie die Schummelei nicht zugeben und Besserung geloben. Auch mit Niemann war so verfahren worden, mittlerweile publizierte Chess.com sogar den E-Mail-Verkehr mit dem US-Teenager. Nicht wenige halten die Art der Einschüchterung wie auch die Veröffentlichung für fragwürdig.

Rund geht es auch just im Heimatland des Weltmeisters. Der erst seit wenigen Monaten amtierende norwegische Schachverbandspräsident Joachim Birger Nilsen gab zu, dass er 2016/17 im Rahmen der "Pro Chess League" auf Chess.com geschummelt habe. Es war kein Computer, der ihm half, sondern eine zweite Person, die sich unerlaubterweise im Raum befand und ihm Tipps gab. Nilsens Rücktritt wäre keine große Überraschung.

Österreichs besten Schachspieler, den Kärntner Großmeister Markus Ragger, trifft man nur in Ausnahmefällen online an. Und das kommt nicht von ungefähr. Online-Events, auch jene von Chess.com, seien "viel zu anfällig" für Schummeleien. Wer es dabei nicht übertreibe und sich nicht permanent helfen lasse, sei nur schwer zu überführen.

Insgesamt begrüßt Ragger, derzeit wie auch Carlsen beim Vereins-Europacup in Mayrhofen im Zillertal im Einsatz, den Popularitätsschub und die Diskussion über Betrug. "Es war überfällig, sich mit Cheating auseinanderzusetzen." (Fritz Neumann, 7.10.2022)