Verschiedene Beweggründe veranlassen Menschen zu unterschiedlichen Wahlentscheidungen – wir haben sie gesammelt.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Am Sonntag waren rund 6,4 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, sich zwischen sieben Kandidaten um das Amt des Bundespräsidenten zu entscheiden. Wie sehr weichen die Entscheidungen zwischen Jüngeren und Älteren voneinander ab und wie stark zwischen Arbeitern und Angestellten? Welche Motive brachten die Wählerinnen des einen und die Wähler des anderen Kandidaten zur Urne?

Solche strukturellen Unterschiede zwischen verschiedenen soziodemografischen Gruppen zeigen die repräsentativen Wahltagsbefragungen von ORF/Sora und ATV/Hajek (mehr Infos zu den Samples am Ende des Artikels).

Große Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab es beim Wahlverhalten diesmal nicht. Amtsinhaber Alexander Van der Bellen kam laut Umfrage bei den Frauen auf 57 Prozent, bei den Männern auf 55 Prozent. Knapp war das Verhältnis auch bei allen Herausforderern, wobei sich die Männer etwas diverser zeigten und einen größeren Anteil der Stimmen auf die Kandidaten unter zehn Prozent aufteilten.

Während bei Parteiwahlen die Grünen üblicherweise von jüngeren Zielgruppen gewählt werden und bei den über 60-Jährigen nicht viel zu holen haben, gewann Ex-Grünen-Parteichef Van der Bellen diese Wahl vor allem in der älteren Bevölkerungsgruppe. Wäre es nach den bis 59-Jährigen gegangen, hätte VdB in die Stichwahl gemusst, dort blieb er unter 50 Prozent. Die unter 30-Jährigen zeigten ein besonderes Faible für Dominik Wlazny; Walter Rosenkranz war am stärksten in der Gruppe dazwischen.

Wie schon bei der letzten Bundespräsidentenwahl versammelte Van der Bellen eine Mehrzahl der Menschen mit sekundärer oder tertiärer Ausbildung hinter sich. In der Gruppe der Wahlberechtigten mit maximal Pflichtschul- oder Lehrabschluss hingegen konnten auch die anderen Kandidaten höhere Anteile einfahren.

Nach der Art des Beschäftigungsverhältnisses weichen die Ergebnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter am stärksten von der Gesamtwählerschaft ab. Fast die Hälfte von ihnen haben Walter Rosenkranz oder Gerald Grosz gewählt, nur 28 Prozent Alexander Van der Bellen.

Schlüsselt man das Wahlverhalten nach Parteiwählerschaft der Parlamentsfraktionen auf, ergibt sich ein eindrückliches Bild. Sympathisanten fast aller Parteien tendierten besonders stark zu Van der Bellen – nur die der FPÖ nicht. Das ist aber auch nicht besonders überraschend, anders als ÖVP, SPÖ und Neos stellte die "eigene" Partei einen dezidierten Kandidaten.

Vor der Bundespräsidentenwahl 2016 war die Ausgangslage noch etwas spannender als heuer. Heinz Fischers Amtszeit war zu Ende, anders als diesmal rechneten sich auch ÖVP (Andreas Khol) und SPÖ (Rudolf Hundstorfer) Chancen aus, die FPÖ schickte vor Ibiza Zugpferd Norbert Hofer ins Rennen, und neben Alexander Van der Bellen wurden Irmgard Griss Außenseiterchancen zugestanden. Dementsprechend lange ließen sich die Wählerinnen und Wähler im Wahlkampf Zeit mit der Entscheidungsfindung. 2022 kannten sieben von zehn Befragten bereits vor mehr als drei Wochen ihre Wahl.

2016 nahm eine Mehrheit von 52 Prozent eine negative Entwicklung der vergangenen Jahre in Österreich wahr. Eine Regierungskrise, eine Pandemie und einen Krieg auf dem Kontinent später ist diese beachtliche Zahl noch weiter auf 65 Prozent gestiegen. Nur zwölf Prozent sagen, das Land habe sich zum Positiven entwickelt.

Die deklarierten Wähler von Alexander Van der Bellen sehen es übrigens ein bisschen weniger drastisch als die Gesamtwählerschaft und dementsprechend auch positiver als die Wähler seines ersten Herausforderers Walter Rosenkranz. Dessen Anhänger sehen gar zu 81 Prozent einen Negativtrend.

2016 berichteten auch drei Viertel aller Befragten von einem negativen Gefühl gegenüber der Politik im Allgemeinen – konkret Enttäuschung oder Ärger. 2022 ist dieser Anteil noch einmal um einige Prozentpunkte gestiegen, sodass nur mehr 16 Prozent der Wählerinnen und Wähler mit einem Gefühl der Zufriedenheit an die politischen Vorgänge in Österreich denken.

Der eine oder andere Kandidat drohte im Wahlkampf polternd, in einer ersten Amtshandlung die Regierung zu entlassen. In der Bevölkerung kam das nur mäßig an, rund 28 Prozent hielten die Abberufung bei gleichzeitiger Neuwahl für eine gute Idee. Weitere elf Prozent würden sich eine andere Regierung ohne Neuwahl wünschen, die relative Mehrheit möchte sie aber regulär weiterarbeiten sehen.

Überhaupt ist die Rolle des Bundespräsidenten als Gegengewicht zur Legislative in den meisten Präsidentschaftswahlkämpfen Thema. 57 Prozent der heuer Befragten meinen, das Staatsoberhaupt soll sich der parlamentarischen Mehrheit beugen. Gegenüber 2016 hat sich das kaum geändert.

So viele Kandidaten wie noch nie, und diese Feststellung bedarf keiner geschlechtergerechten Formulierung. Offenbar hat die Mehrheit damit aber gar kein Problem. Oder, anders ausgedrückt: Recht wichtig ist es den meisten auch nach der nächsten, für 2028 angesetzten Wahl nicht, dann eine Bundespräsidentin zu haben.

Genau die Hälfte der Befragten wünschte sich mehr tagespolitische Aktivität des Bundespräsidenten. Für rund vier von zehn war Alexander Van der Bellens Amtsauslegung in dieser Hinsicht optimal. Nur einer Minderheit brachte er sich sogar zu viel ein.

Apropos Tagespolitik: Das weltpolitisch alles dominierende Thema, der Ukraine-Krieg, wurde ebenfalls thematisiert. Und zwar in Form der Frage "Wofür soll sich der nächste Bundespräsident hinsichtlich der Russland-Sanktionen einsetzen?" Neben einem relativ großen Segment von 17 Prozent ohne klare Meinung ist eine Mehrheit von 47 Prozent für die Fortführung beziehungsweise sogar eine Verschärfung der momentanen Maßnahmen. 36 Prozent wünschen sich, dass der Präsident für eine Lockerung oder Abschaffung eintritt.

  • Auftraggeber: ORF/Sora/ISA
  • durchführende Institute: Jaksch & Partner OG, Linz
  • Grundgesamtheit: Wahlberechtigte zur Bundespräsidentenwahl 2022
  • Methode: Telefon- & Online-Interviews
  • Befragungszeitraum: 3. bis 8. Oktober 2022
  • Stichprobe: rund 1.200 Personen
  • Max. Schwankungsbreite der Ergebnisse: +/- 2,8 %
  • Gewichtung: soziodemografisch (Geschlecht, Alter, Bildung, Erwerb), Hochrechnung am Wahltag
  • Auftraggeber: ATV / Peter Hajek
  • durchführende Institute: Jaksch & Partner und Talk Online
  • Grundgesamtheit: Wahlberechtigte zur Bundespräsidentenwahl 2022
  • Methode: Telefon- und Online-Befragung
  • Befragungszeitraum: 4. bis 8. Oktober 2022
  • Stichprobe: 1.200 Personen (400 Telefon / 800 online)
  • Max. Schwankungsbreite der Ergebnisse: +/- 2,8 %

Welche Quelle für welche Grafik verwendet wurde, ist jeweils in der Fußnote angeführt. (mcmt, rk, 9.10.2022)