Das Bundesverwaltungsgericht sucht eine neue Leitung. Ob der türkis-grüne Sideletter für Postenbesetzungen nach wie vor aufrecht ist, will Justizministerin Zadić nicht explizit sagen.

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Justizministerin Alma Zadić (Grüne) arbeitet an der – wie sie selbst sagt – "größten Justizreform der Zweiten Republik". Die Weisungsspitze in Ermittlungsverfahren soll künftig nicht mehr bei der Ministerin selbst liegen, sondern bei einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass eine Einigung mit dem Koalitionspartner ÖVP schwierig werden dürfte. Mit dem STANDARD sprach Zadić über die Reform, eine mögliche Justizpolizei und den geheimen Sideletter der Regierung.

STANDARD: Laut dem Vorschlag Ihrer Expertengruppe soll die Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften ein Dreiersenat sein, der vom Bundespräsidenten ernannt wird. Verfassungsministerin Edtstadler (ÖVP) will dagegen, dass die Spitze vom Parlament bestellt, kontrolliert und abgesetzt werden kann. Sieht nicht so aus, als würden Sie auf einen grünen Zweig kommen?

Zadić: Wir haben uns das gemeinsame Ziel gesetzt, die Justiz zu entpolitisieren, und ich weiß, dass Ministerin Edtstadler das auch will. Wir wollen eine Weisungsspitze, die unabhängig von Parteipolitik ist, und das kann am besten in Senaten garantiert werden.

STANDARD: Gerade in Sachen Entpolitisierung sind Sie sich aber nicht einig. Laut Edtstadler sei eine starke Einbindung des Parlaments "nicht verhandelbar". Auch die SPÖ, deren Zustimmung Sie im Nationalrat brauchen, fordert, dass die Weisungsspitze mit Zweidrittelmehrheit im Parlament gewählt wird. Was spricht dagegen, dass die Spitze demokratisch legitimiert ist?

Zadić: Nichts. Alle Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, aber auch Richterinnen und Richter, sind demokratisch legitimiert, weil sie auf Vorschlag der Justizministerin vom direkt gewählten Bundespräsidenten ernannt werden. Abgesehen davon soll die parlamentarische Kontrolle wie bisher bestehen bleiben. Es wird weiterhin ein Fragerecht des Nationalrats geben und U-Ausschüsse.

STANDARD: Sollen U-Ausschüsse erst dann tätig werden, wenn strafrechtliche Ermittlungen beendet sind, wie mitunter gefordert?

Zadić: Bei Untersuchungsausschüssen soll sich nichts ändern.

STANDARD: Ausschüsse sollen weiterhin Akten bekommen, auch wenn Ermittlungen laufen?

Zadić: Ja, das bestehende System möchten wir nicht einschränken.

STANDARD: Edtstadler grätscht immer wieder in Ihren Zuständigkeitsbereich hinein und stellt Forderungen, zuletzt etwa nach einer Reform bei Handy-Sicherstellungen. Denkbar wäre, dass nicht mehr nur eine Anordnung der Staatsanwaltschaft reicht, sondern ein Gericht die Sicherstellung begründen muss. Ein guter Vorschlag?

Zadić: Ich schätze die Ministerin und weiß, dass sie immer wieder Vorschläge zur Stärkung der Beschuldigtenrechte macht. Da bin ich grundsätzlich gesprächsbereit. Bei Sicherstellungen können Beschuldigte Beschwerde einlegen, und dann entscheidet ein Gericht.

STANDARD: Es gibt also keinen Reformbedarf?

Zadić: Die wichtigsten Anwendungsbereiche bei der Sicherstellung von Handys sind organisierte Kriminalität, häusliche Gewalt und Kinderpornografie. Diese Ermittlungen dürfen wir nicht gefährden. Derzeit haben wir das Thema, dass viele Akteninhalte, die nicht im Strafakt sind, dem U-Ausschuss vorgelegt werden müssen. Aber das hat der Verfassungsgerichtshof so entschieden.

Vom Stil des neuen Anwaltspräsidenten ist Zadić "ehrlicherweise überrascht".
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STANDARD: Der neue Anwaltspräsident Armenak Utudjian hat in Interviews vergangene Woche zu einem Rundumschlag gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ausgeholt. Sie würde "kriminalisieren", Aktenleaks kämen zudem häufig aus dem "Behördenbereich". Das sind schwere Vorwürfe, die Sie bisher nicht öffentlich kommentiert haben.

Zadić: Ich habe den neuen Präsidenten danach sofort angerufen und mit ihm darüber gesprochen. Ich gratuliere ihm zum neuen Amt, bin aber ehrlicherweise überrascht vom neuen Stil. Mit seinem Vorgänger habe ich immer sachlich und konstruktiv zusammengearbeitet. Die WKStA ist die zentrale Antikorruptionsbehörde und führt komplexe Ermittlungsverfahren, auch gegen Prominente. Dass das nicht alle gut finden, kann sein.

STANDARD: Gibt es denn Aktenleaks durch die Ermittlungsbehörden?

Zadić: Ich habe den neuen Präsidenten gebeten, mir konkrete Verdachtsmomente zu liefern, damit ich dem nachgehen kann. Ich habe aber nichts von ihm bekommen. Die Staatsanwaltschaft hat kein Interesse daran, dass Akten öffentlich werden. Das gefährdet Ermittlungen. In großen Verfahren, in denen es viele Beschuldigte gibt, kommt es vor, dass Anwälte von Beschuldigten Akten öffentlich machen. Es ist ein Beschuldigtenrecht, in Akten Einsicht zu nehmen und sie auch für den Mandanten öffentlich zu nutzen.

STANDARD: Die Rechtsanwälte Richard Soyer und Philip Marsch haben im STANDARD auf ein mögliches rechtsstaatliches Problem im Zusammenspiel zwischen Justiz und Polizei hingewiesen. Anlass war der Zwist um Akten aus dem Kanzleramt. Weigere sich theoretisch ein Innenminister, eine Anordnung der Staatsanwaltschaft umzusetzen, könne er die Justiz mit einem "Federstrich" ausschalten. Teilen Sie diese Sorge?

Zadić: Beim aktuellen Innenminister schließe ich das aus, aber es kann natürlich Minister geben, bei denen das anders ist. Man müsste verfassungsrechtlich absichern, dass die Person des Innenminister dieses fein austarierte Verfassungsgefüge nicht aushebeln kann.

STANDARD: Soyer schlägt eine Gerichtspolizei vor, die direkt der Justiz unterstellt ist.

Zadić: Das ist ein spannender Vorschlag, der schon öfter an mich herangetragen wurde. Die Europäische Staatsanwaltschaft hat Ähnliches gefordert. Wir wissen nicht, ob ein künftiger Innenminister einmal die Weisung erteilt, Ermittlungsmaßnahmen nicht durchzuführen. Da müsste die Verfassungsministerin Vorkehrungen treffen, um diese verfassungsrechtliche Lücke zu schließen.

STANDARD: Das Bundesverwaltungsgericht sucht eine neue Präsidentin oder einen neuen Präsidenten. Laut dem Sideletter der Regierung soll das Nominierungsrecht der ÖVP zustehen. Ist der Sideletter aufrecht?

Zadić: Der Bestellvorgang ist genau geregelt. Eine Besetzungskommission sucht die bestgeeigneten Kandidatinnen und Kandidaten aus. Die Vertreter des Justizministeriums in der Kommission stehen fest, und diese wird objektiv und unbeeinflussbar arbeiten.

STANDARD: Die Kommission macht einen Dreiervorschlag. Dann braucht es trotzdem eine Entscheidung der Regierung. Ist der Sideletter gültig, und hat die ÖVP ein Nominierungsrecht?

Zadić: Die Kommission macht einen Dreiervorschlag, und ich gehe davon aus, dass sie den oder die Beste an erster Stelle reihen wird.

STANDARD: Die Kommission leistet nur Vorarbeit, es muss trotzdem die Regierung entscheiden. Sie wollen die Frage, ob der Sideletter noch aufrecht ist, nicht beantworten.

Zadić: Die habe ich beantwortet. Für mich ist klar, dass der oder die Erstgereihte nominiert werden soll. Das ist das einzige Kriterium das für mich zählt. (Jakob Pflügl, 8.10.2022)