Gymnastik im Zeichen des Doppelkreuzes: Alexander Pschill in der Doppelrolle als Diktator Hynkel und als jüdischer Frisör.

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Wien – Einen kleinen Putin-Wink gab es dann doch: Ein Gemälde im Führerhauptquartier zeigt einen Herrn, der oben ohne auf einem Bären stolz und bewehrt durch die Tundra reitet. Weitere Analogien zu zeitgenössischen Machthabern darf man sich einfach denken. Denn Dominic Oleys Bühnenfassung von "Der große Diktator" hat keinerlei Aktualisierungen vorgenommen, sie bleibt einerseits optisch ganz an Charlie Chaplins Original der Nazi-Persiflage und verausgabt sich weniger inhaltlich denn formal. In den Kammerspielen der Josefstadt herrscht Slapstick-Stunde.

Eine Verwechslungskomödie, die der 1940 erstmals gezeigte Filmklassiker letztlich ist, bietet dafür viele Angriffsflächen: Ein jüdischer Friseur wird irrtümlich für den Diktator Hynkel (Hitler) gehalten und soll unter Aufsicht strammer "Krampfgenossen" eine Propagandarede halten. Alexander Pschill in der Doppelrolle von Hynkel und Barbier spart dabei nicht an ausladender Stummfilmmimik und -gestik. Noch mehr aber als die szenische Raffinesse, die aus der Überblendung von Oper- und Täterfigur erwächst, interessiert diesen Abend die Situationskomik an sich. Das ergibt am Ende einen leichten 90-Minüter, den man mit dem guten Gefühl verlässt, dass auf der Bühne schwer für das Publikum gearbeitet wurde. Hinzu kam am Premierenabend, dass der Regisseur kurzfristig für einen erkrankten Schauspieler einspringen musste.

Schwarzweiß

Oley und Pschill wollen dem Slapstick-Genre sichtlich ihre Reverenz erweisen. Zu diesem Zweck ist auch die Bühne von Kaja Dymnicki von einem Stummfilm-Passepartout gerahmt und ganz in Schwarzweiß gehalten. Dass Pschill mit Wuschelkopf und Knopfaugen Chaplin von Natur aus ähnlich sieht, verstärkt das Motiv der kompletten Anverwandlung. Bis hinein in Details – etwa das typische, von ratlosem Gesichtsausdruck begleitete Sich-Kratzen eines Tramps – ruft die Inszenierung Filmbilder ab.

Pschill beherrscht sein Handwerk. Als Hynkel knurrt er beim Sprechen wie ein Schäferhund und spuckt bei seiner von Dr. Garbitsch (vulgo Goebbels, Martin Niedermair) angefeuerten Rede einen Wasserfall von Konsonanten. Schtonk! Als gutgläubiger Barbier wiederum, tiefenentspannt unterm "Doppelkreuz", jongliert Pschill anstelle des berühmten Weltkugel-Ballons den gesamten Hausrat seines leicht überheblichen Schutzbefohlenen Schultz (Oley): Golfschläger, Zimmerpflanzen, ein Teeservice, die Goethe-Gesamtausgabe. Haha!

Benzino Napoloni

Weitere Komik-Höhepunkte: Die nicht enden wollende Ordensverleihung an Feldmarschall Herring/Göring (ausgestopft: Oliver Huether) oder der Besuch von Benzino Napoloni/Benito Mussolini (Huether) im weißen Mantelumhang und mit dramatischer Hutfeder (Kostüme: Nicole von Graevenitz). Der Abend ist von der diebischen Freude angetrieben, Autokraten durch den Kakao zu ziehen. Dies als Ersatz für den Film zu betrachten, wäre ein Sakrileg, mehr als andere Theaterversuche der letzten Zeit (etwa 2021 am Schauspielhaus Graz) sucht dieser Kammerspiele-Diktator aber die Originalfilmnähe. (Margarete Affenzeller, 9.10.2022)