Der Vorsitzende des russischen Krim-Parlaments sagte gegenüber einer Nachrichtenagentur, die Schäden an der Brücke seien nicht schwerwiegend und würden umgehend behoben.

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Die Bilder aus den sozialen Netzwerken sind dramatisch. Die Autobahnbrücke von Russland auf die annektierte Halbinsel Krim ist teilweise eingestürzt, auf der Bahnbrücke brennt ein Güterzug. In der Zwischenzeit scheint das Feuer gelöscht. Nach russischen Angaben sind mindestens drei Menschen gestorben. Die Menschen sollen in Fahrzeugen gesessen haben, als am Morgen auf der Autostrecke der Krim-Brücke ein vom Festland kommender Lkw explodiert sei. Russland hatte Kiew vor einem Angriff auf die Brücke gewarnt. Im Gegenzug könnte Kiew angegriffen werden.

Das russische Anti-Terror Komitee teilte mit, die Detonation habe sich Samstag früh ereignet. "Heute um 6:07 Uhr wurde ein Lastwagen auf dem Automobilteil der Krimbrücke von der Seite der Halbinsel Taman in die Luft gesprengt, was zur Zündung von sieben Kraftstofftanks eines Zuges führte, der in Richtung der Halbinsel Krim unterwegs war. Es gab einen teilweisen Einsturz von zwei Autospannen der Brücke. Der Bogen über dem schiffbaren Teil der Brücke ist nicht beschädigt". Zwei Bereiche der Autofahrbahn seien zerstört. Der russische Gouverneur der Halbinsel Krim, Sergej Axjonow, erklärte, die Autobahnstrecke sei in eine Richtung zwar noch intakt. Dennoch sei der Verkehr wegen Schadensprüfung unterbrochen. Am Samstagabend hieß es von russischer Seite, dass sowohl Auto- als auch Bahnverkehr wieder die Brücke passiere.

FSB kümmert sich um Bewachung

Außerdem unterzeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin am Samstag ein Dekret, wonach der russischen Inlandsgeheimdienst zukünftig für die Sicherung der Brücke zuständig sei. Außerdem soll die Infrastruktur, die Gas- und Stromlieferung an die Halbinsel bereitstellt, besser geschützt werden.

Die russischen Behörden erklärten nicht, wie ein einzelner Lastwagen Schäden eines solchen Ausmasses angerichtet haben könnte. Zudem blieb unklar, warum der Lkw die russischen Kontrollen passieren habe können. Der Besitzer des Lastwagens wurde nach russischen Angaben identifiziert. Es handle sich um einen Einwohner der südlichen russischen Region Krasnodar, erklärten russische Ermittler am Samstag ohne den Namen des Mannes zu nennen. Demnach wurden an seinem Wohnsitz Ermittlungen eingeleitet, die dokumentierte Fahrtroute des Lastwagens werde überprüft.

Ukraine übernimmt keine Verantwortung

Doch was war die Ursache für die Explosion? Vermutet wird eine Autobombe. Die ukrainische Seite übernahm keine direkte Verantwortung, aber die Bilder wurden mit Jubel aufgenommen. Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak schrieb auf Twitter, dies sei "der Anfang". Alles "Illegale" müsse zerstört werden, und "alles Gestohlene" an die Ukraine zurückgegeben werden.

Der Leiter des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Olexij Danilow, postete ein Video der brennenden Brücke in den sozialen Medien. Daneben stellte er ein Video der Schauspielerin Marilyn Monroe, die "Happy Birthday, Mister President" singt. Putin wurde am vergangenen Freitag 70 Jahre alt.

Die Internetzeitung Ukrajinska Prawda berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise in Kiew, dass der Geheimdienst SBU hinter der Spezialoperation stecke. Der SBU bestätigte das nicht, veröffentlichte aber wie viele offizielle Stellen in der Ukraine in den sozialen Netzwerken Aufnahmen von der brennenden Brücke – und stellte ein Gedicht dazu.

Wladimir Konstantinow, der Vorsitzende des russischen Krim-Parlaments, sagt gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Nowosti, die Schäden an der Brücke werden umgehend behoben, sie seien nicht schwerwiegend. Er machte "ukrainische Vandalen" für den Vorfall verantwortlich. Ihnen sei es gelungen, mit "ihren blutigen Händen" nach der Krim-Brücke zu greifen.

Russischen Angaben zufolge könnten mehr als 50.000 Touristen auf der Krim festsitzen. Genauere Zahlen zu den Menschen, die nun nicht mehr ohne weiteres aus ihren Urlaubsorten abreisen könnten, würden noch ermittelt, teilte die Vereinigung russischer Reiseanbieter am Samstag mit. Der Bahn- und Autoverkehr zum russischen Festland wurde kurzfristig komplett gestoppt.

Russisches Prestigeobjekt

Die Brücke auf die Halbinsel Krim ist ein Prestigeobjekt des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Idee dazu ist über hundert Jahre alt. Es existierten bereits unterzeichnete Verträge zwischen Russland und der Ukraine als die Halbinsel Krim annektiert wurde. Für Russland wurde das Projekt strategisch wichtig. Nach der Annexion blockierte die Ukraine die Versorgung der 19 Kilometer langen Brücke, die die Krim und Russland verbindet. Schließlich, nach drei Jahren und drei Milliarden Euro Baukosten, wurde 2018 der Autobahn-Teil eröffnet, ein Jahr später dann die Eisenbahnbrücke.

Eigentlich sollte die Brücke die Halbinsel Krim näher an Russland anbinden, und auch den Tourismus auf die Krim ankurbeln. Heute wird über sie ein großer Teil des Nachschubs geliefert für die russischen Truppen in der von ihnen größtenteils besetzten südukrainischen Region Cherson. In den vergangenen Monaten war die Krim wiederholt Ziel ukrainischer Angriffe. Die Ukraine hat immer wieder angekündigt, sich die Krim zurückzuholen. Die Militärführung in Kiew hatte auch einen Beschuss der Brückenanlagen angekündigt, sobald es die vom Westen gelieferten Waffen dafür gebe. Zuletzt kam es in der Region Kertsch, die auf der Krim direkt an die Brücke grenzt, immer wieder zu Zwischenfällen mit Drohnen, die explodierten.

Rote Linie

Russland hat immer wieder betont, dass ein Angriff auf die Brücke ein klares Überschreiten der roten Linie sei. Der Machtapparat in Moskau drohte für den Fall mit Angriffen auf die Kommandozentralen in Kiew. Russlands Präsident Putin wies die Regierung an, eine staatliche Untersuchungskommission zur Prüfung der Explosion auf der Brücke einzurichten, so die Nachrichtenagentur Tass. Der Eisenbahnverkehr wurde vorübergehend eingestellt, lief aber am frühen Samstagabend laut einer Mitteilung des russischen Transportministeriums wieder an.

Am Samstagnachmittag lief der Autoverkehr wieder an. Die Brücke sei ab sofort "offen für Autos und Busse", teilte der Verwaltungschef der von Russland annektierten Halbinsel Krim, Sergej Aksjonow, im Online-Dienst Telegram mit. Zudem sollen Evakuierungen über Fähren organisiert werden. Es sei eine Notfall-Hotline eingerichtet worden, hieß es.

Brüchige Ruhe in Charkiw

Nach der international nicht anerkannten russischen Annexion der Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja, Cherson flammen die Kämpfe in der Ukraine erneut mit voller Härte auf. In der Nacht gab es russische Raketenangriffe auf das Zentrum der kürzlich von ukrainischen Truppen zurückeroberte ostukrainischen Stadt Charkiw. Noch vor wenigen Tagen hofften die Menschen dort, der Krieg sei für sie zu Ende. Viele Gebäude in Charkiw sind zerstört, doch langsam kehrte wieder Normalität in der Stadt ein. Viele Geschäfte, die Restaurants sind geöffnet. Etwas Optimismus war zu spüren. Doch nun erschütterte eine Reihe von Explosionen die Stadt, Rauchwolken siegen auf. Bürgermeister Ihor Terechow erklärte, die Explosionen seien von Raketenangriffen im Stadtzentrum verursacht worden. Die Angriffe hätten Brände in einer der medizinischen Einrichtungen der Stadt und einem weiteren Gebäude ausgelöst. Dabei handele es sich nicht um ein Wohngebäude.

Nach UN-Schätzungen sind in den Gebieten um Charkiw rund 140.000 Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die meisten hätten kaum Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, Gas, Strom und medizinischer Versorgung, so ein Sprecher des UN-Nothilfebüros (OCHA). In der fast völlig zerstörten Stadt Isjum sammeln die Menschen Baumaterial, versuchen vor dem Wintereinbruch ihre Wohnungen notdürftig in Stand zu setzen. Von den einst 46.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind noch etwa 8.000 bis 9.000 Menschen in der Stadt. (Jo Angerer aus Moskau, 8.10.2022)