Nach einer Explosion auf der Kertsch-Brücke zwischen der Krim und Russland war Samstag eine Fahrbahn beschädigt, ein Treibstoffzug stand in Flammen.

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Am Sonntag war die Zugverbindung wieder aufrecht.

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Perspektive von oben.

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Diese Briefmarke ist keine blitzschnelle Reaktion auf die jüngste Explosion, sie ist schon seit Sommer im Umlauf.

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Wolodymyr Selenskyj begann seine nächtliche Ansprache am frühen Sonntag mit einem Wetterbericht. Ein schöner und sonniger Tag sei es gewesen, so der Präsident der Ukraine. "Leider aber war es bewölkt auf der Krim – obwohl, auch warm", fügte er hinzu. "Aber unabhängig von der Bewölkung wissen Ukrainer, was zu tun ist." Konkreter wurde er nicht, doch darf der Hinweis auf die Krim ruhig als Anspielung verstanden werden. Dort hatte es in der Nacht auf Samstag eine Explosion und ein Feuer auf jener Brücke gegeben, die die von Russland 2014 annektierte Halbinsel mit dem russischen Festland verbindet.

Offiziell hat sich niemand zum Angriff auf das teure Prestigeprojekt von Russlands Präsident Wladimir Putin bekannt. Mehrere Medien, darunter die New York Times und das Wall Street Journal, wollen allerdings unter der Hand aus Kiew Bestätigungen erhalten haben. Auch in Russland gingen offizielle und inoffizielle Äußerungen auseinander. Offiziell mühte sich der Kreml, die Explosion als weitgehend konsequenzenlos zu verkaufen: ein "Terroranschlag", der das Bauwerk nur beschädigt und nicht zerstört habe. Putin habe "keine Pläne", sich zu äußern, teilte sein Sprecher Dmitri Peskow mit. Bilder von Zügen, die Stunden nach dem Angriff wieder über den Eisenbahnteil der Brücke fuhren, präsentierte man offensiv.

DER STANDARD

Militärdelfine machtlos

Unter der Oberfläche aber brodelt es. Immer wieder hatten russische Medien betont, dass die Brücke mit zahlreichen Maßnahmen gegen Angriffe geschützt sei. In einer Grafik der Staatspropaganda waren Satelliten über dem Bauwerk zu sehen, Raketenwerfer an Land, Kampftaucher und "Militärdelfine" zu Wasser.

Falls es der Ukraine trotzdem gelungen sein sollte, einen Lkw mit Sprengladung auf die Brücke zu bringen und diesen auch noch just neben einem fahrenden Tankzug zur Explosion zu bringen, würde das kein gutes Bild auf die Sicherheitsdienste des Kreml werfen. Zumal das milliardenteure Bauwerk auch militärisch wichtig ist: Der Schienenstrang über die Kertsch-Meerenge ist eine wichtige Nachschubroute für die Truppen im Süden der Ukraine. Wäre sie ausgefallen, wäre nur eine Strecke durch die Südukraine geblieben – etwa durch jenes Gebiet bei Melitopol, wo zuletzt ukrainische Saboteure aktiv waren.

Dazu kommt, dass sich auch in Russland die offene Kritik an der Kriegsführung mehrt – vor allem vonseiten jener, die einer noch härteren Gangart das Wort reden. In der vergangenen Woche waren das unter anderen der Machthaber der Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, und der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin. Kadyrow forderte auf Twitter unter anderem den Einsatz taktischer Nuklearwaffen und die Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur, Prigoschin lässt über von ihm kontrollierte Medienkanäle Kritik und Gerüchte verbreiten.

Fragwürdige Gerüchte

Dazu zählt unter anderen jenes, dass die Zeit des Verteidigungsministers Sergej Schoigu und von Generalstabschef Waleri Gerassimow vorbei sei, ihre Ablösung bevorstehe. Auf deren Posten soll sich auch Prigoschin, der einst wegen einer Teilhaberschaft an einer Gastro-Firma als "Putins Koch" bezeichnet wurde, selbst Hoffnungen machen.

Bestätigen ließ sich davon nichts – und schon gar nicht ein offenbar von der Ukraine gestreuter Bericht, die Moskauer Innenstadt sei gesperrt, Soldaten in Alarmbereitschaft. Fotos aus der russischen Hauptstadt zeigten bald, dass es sich beim angeblichen Putsch um eine Falschmeldung handelte. Russland-Experte Gerhard Mangott sagte dem STANDARD am Sonntag, er habe "keine einzige seriöse Quelle gefunden, die das bestätigen würde".

Sergej Surowikin steigt auf

Bestätigt sind hingegen andere Personalrochaden: Statt Alexander Dwornikow soll künftig General Sergej Surowikin die russischen Truppen in der Ukraine führen. Bisher war er Chef der Streitkräfte im südlichen Militärbezirk, deren Einsatz in der Ukraine vergleichsweise erfolgreich verlief.

Wie und ob Russland konkret auf den Kertsch-Angriff reagieren würde, war vorerst noch offen. Putin wollte am Montag eine Sitzung des Sicherheitsrats leiten, hieß es.

Am Sonntag schlug eine russische Rakete in einem Wohnhaus in der Stadt Saporischschja ein – Hauptstadt jener gleichnamigen Region, die der Kreml vergangene Woche mit dem Argument annektierte, sie müsse "befreit" werden. Mindestens zwölf Menschen wurden dabei getötet, 49 verletzt – unter ihnen sechs Kinder. (Manuel Escher, 9.10.2022)