Parteichef Christian Lindner spricht von einem "traurigen Abend" für die FDP.

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Berlin – Trotz der Umfragen waren die FDP-Spitzen lange bemüht, ein gutes Ergebnis für die Liberalen bei der Landtagswahl in Niedersachsen herbeizureden. Dass die FDP den Wiedereinzug in den Landtag in Hannover nicht schaffen könnte? Daran sei nicht zu denken. Stattdessen gaben Parteichef Christian Lindner und andere Spitzenliberale die Parole aus, möglichst an der nächsten Landesregierung als "Kraft der Mitte" beteiligt zu sein. Um 18 Uhr war zumindest dieser Traum ausgeträumt. Spätere Hochrechnungen zerstörten dann auch die Hoffnung, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.

Während die SPD dem vorläufigen Endergebnis zufolge die Landtagswahl mit 33,4 Prozent gewonnen hat, verpasste die FDP mit 4,7 Prozent den Einzug in den Landtag. Auch die CDU, der bisherige Koalitionspartner der Sozialdemokraten, musste große Verluste hinnehmen und erreichte 28,1 Prozent. Die Grünen verzeichneten deutliche Gewinne und kamen auf 14,5 Prozent. Auch die rechtsgerichtete AfD legte deutlich zu und konnte 10,9 Prozent auf sich vereinen. Die Linken scheiterten mit 2,7 Prozent abermals an der Fünf-Prozent-Hürde.

Mit dem Scheitern am Einzug ins Parlament muss die FDP in der vierten und letzten Landtagswahl des Jahres ihre vierte Schlappe verkraften. Für die Ampelkoalition mit SPD und Grünen im Bund kann das nichts Gutes bedeuten: "Wir müssen verhindern, dass linke Projekte in dieser Koalition umgesetzt werden", gab sich FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in der ARD kämpferisch. "Die Stimme der FDP in dieser Koalition muss noch deutlicher zu erkennen sein." Nach Einschätzung des Wahlforschungsinstituts Forsa ist aber nicht die Ampel das größte Problem für die FDP, sondern die AfD.

Vierte Niederlage für die FDP

Lindner trat schon eine halbe Stunde nach der Prognose gegen 18.30 Uhr in der Parteizentrale in Berlin vor die Anhängerinnen und Anhänger, die höflich Applaus spendeten. Es sei "ein trauriger Abend" für die FDP, räumte der 43-jährige Bundesfinanzminister. "Wir haben einen politischen Rückschlag erlitten." Ziel der Liberalen sei es gewesen, dass es in Niedersachsen zu keinem Linksruck komme. "Das war das, was wir verhindern wollten", sagte Lindner. Mit der Aussicht auf einen Regierungswechsel in Hannover von einer Koalition aus SPD und CDU hin zu einem rot-grünen Bündnis sei dieses Ziel nicht erreicht worden.

Haltung wahren bei schlechten Wahlergebnissen, damit hat Lindner in diesem Jahr schon reichlich Erfahrung machen müssen. In Schleswig-Holstein flog die FDP aus der Regierung, ebenso in Nordrhein-Westfalen, und im Saarland verpasste die Partei wieder den Einzug in das Parlament. Es zeichnet sich zunehmend der Trend ab, dass die FDP im Ampelbündnis auf Bundesebene am stärksten Federn lässt. Dieser Eindruck wurde in Hannover bestätigt. In der Frage nach der Zukunft der Ampel hielt Linder allerdings auch am Sonntagabend Kurs. Deutschland befinde sich in einem Energiekrieg und in einer Wirtschaftskrise, sagte Lindner im ZDF auf die Frage, ob er die Ampel nicht besser verlassen sollte. Und die FDP stehe "in Verantwortung für das Land".

Lindner wollte "ideologiefreie Energie"

Die Ampelkoalition sei für die FDP kein Liebesbündnis, macht Lindner immer wieder deutlich. Für viele Anhängerinnen und Anhänger der Liberalen sei die Kröte einer Koalition mit SPD und Grünen nur schwer zu schlucken gewesen. Den Eindruck, die FDP sei mit dem Eintritt in die Bundesregierung nach links gerückt, weist Lindner entschieden zurück. Die Liberalen seien nicht links der Mitte, "das sind wir nicht, wir sind in der Mitte", betonte er am Sonntagabend. Entsprechend müsse sich die FDP in der Ampel künftig stärker positionieren und mit entscheidenden Lösungsbeiträgen profilieren, gab er sich allerdings zurückhaltender als Generalsekretär Djir-Sarai.

Ein konkretes Thema sprach Lindner dabei erneut an: die Energiepolitik. Die FDP tritt seit langem dafür ein, die drei noch am Netz angeschlossenen Atomkraftwerke länger in Betrieb zu halten, um die Versorgung mit Strom in Deutschland zu gewährleisten. Lindner hat zuletzt noch eines draufgelegt und sich dafür ausgesprochen, zwei stillgelegte AKWs darauf vorzubereiten, wieder ans Netz zu gehen – für die Grünen und ihren Wirtschaftsminister Robert Habeck ein absolutes No-Go. Doch Lindner bleibt dabei. Am Sonntagabend bedauerte er, dass die Wählerinnen und Wähler in Niedersachsen die FDP bei ihrem Kurs einer "ideologiefreien Energie" nicht unterstützt hätten. "Aber die Fakten bleiben, trotz des landespolitischen Rückschlags."

FDP verliert massiv Stimmen an AfD

Und noch ein Feld macht der FDP-Chef als Baustelle auf: das gute Abschneiden der AfD, die eine "zerstrittene, konzeptfreie, rechtspopulistische" Partei sei und nun zweistellig im Landtag von Niedersachsen vertreten sein werde. Man müsse die AfD zum einen jetzt dort stellen, wo sie Narrative des russischen Präsidenten Wladimir Putin bediene. Es sei aber auch wichtig, dass sich gerade die FDP an die Wählerinnen und Wähler wende, "die mit ihren wirtschaftlichen Sorgen und Abstiegsängsten das Gefühl haben, von den etablierten Parteien nicht gesehen zu werden". Das gelte auch für die klassische FDP-Klientel, etwa für Handwerk und Mittelstand. "Ihr seid nicht allein", rief Lindner.

Forsa-Chef Manfred Güllner sieht hier das größte Problem für die Liberalen. Die Rechtspopulisten hätten in Niedersachsen im klassischen Wählerrevier der FDP gewildert. "Viele Mittelständler, die bisher FDP gewählt haben, sind zur AfD gewechselt", sagte Güllner der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag und ist sich sicher: "Die Ausblutung in Richtung rechts ist das Hauptproblem der FDP." Die Liberalen seien im Kern eine Klientelpartei für Handwerker und Freiberufler geblieben. "Die fühlen sich von der Ampel in der Energiekrise aber schlecht vertreten", sagt Güllner. "Bisher gab es eine klare Abgrenzung zwischen FDP-Klientel und AfD. Die ist brüchig geworden, verstärkt durch die Energiekrise." (red, Reuters, 10.10.2022)