"Bitcoin ist hope – Bitcoin ist die Hoffnung", lautet das Mantra des wohl einflussreichsten Bitcoin-Apostels, Michael Saylor.

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Für die einen ist der Bitcoin nur eine Geldanlage. Für die anderen ist er das größte Freiheitsversprechen der Welt. Selbsternannte Bitcoin-"Maximalisten" haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, von den Segnungen zu erzählen, die die Mutter aller Kryptowährungen verheißt: einer Welt ohne Inflation und Arbeitslosigkeit, ohne Banken und staatlichen Einblick in Geldflüsse. "Bitcoin fixes this", ist das Mantra dieser Evangelisten, die keine Kirche für ihre Predigten brauchen. Ihnen genügt Twitter.

"Bitcoin ist hope – Bitcoin ist die Hoffnung", lautet der Lieblingssatz des Krypto-Unternehmers Michael Saylor, den er für seine 2,6 Millionen Follower auf Twitter immer wieder aufs Neue variiert. Saylor ist einer der lautesten Apostel des Bitcoin-Evangeliums. Und er ist kein einsamer Rufer in der Wüste. "Bitcoin bedeutet Freiheit und Gerechtigkeit für alle", verkündet etwa der kalifornische Consulter Robert Breedlove seinen Fans.

In Österreich ist vor allem der Journalist Niko Jilch auf den Zug aufgesprungen. Zuletzt beim neoliberalen Thinktank Agenda Austria beschäftigt, hostet Jilch seit kurzem einen Bitcoin-Podcast. Über einen angegliederten Shop gibt es Bitcoin-Merchandise für alle, die ihren Glauben am T-Shirt in die Welt tragen wollen. Gesponsert wird das alles unter anderem vom Kryptobroker Coinfinity.

Sie alle und andere Maximalisten wie die Unternehmer Cory Klippsten und Jeff Booth oder den Ökonomen Saifedean Ammous eint ein gemeinsames Feindbild: die Inflation, die Regierungen und die Notenbanken, die ihrer Auffassung nach Geld drucken, um Staatsschulden zu finanzieren. Auf ihren Profilbildern zeigen sich die Maximalisten mit Laseraugen: Sie verstehen sich nicht nur als erleuchtet – sie wollen erleuchten.

Misstrauen in "das System"

Die Lösung für das Inflationsproblem sehen sie in der endlichen Menge an Bitcoin. Da es nie mehr als 21 Millionen Bitcoins geben kann, würde die Währung im Lauf der Zeit nicht weniger, sondern mehr wert. Dazu muss es freilich eine konstante oder wachsende Nachfrage nach Bitcoin geben – die setzen die Maximalisten jedoch als gegeben voraus. Über regelmäßige Preisstürze trösten sie sich mit dem Mantra "When in doubt, zoom out" ("Wenn du zweifelst, schau aufs große Ganze") hinweg. Und tatsächlich: Selbst in seiner jetzigen Krise liegt der Kurs noch doppelt so hoch wie etwa vor zwei Jahren. Denen, die schon lange dabei sind, gibt das Sicherheit.

Der dezentrale Charakter des Bitcoin gewährleistet in den Augen der Maximalisten, dass keine Regierung, Notenbank oder Bank in Geldwert oder -verteilung eingreift oder Transaktionen überwacht: "Mit Bitcoin haben wir endlich die Möglichkeit, Milliarden von armen und arbeitenden Menschen Eigentum, wirtschaftliche Sicherheit und die Freiheit von finanzieller Repression durch Staat und Institutionen zu geben", schreibt Michael Saylor.

Symbolisch verdichtet sich das – in ihren Augen – gescheiterte staatliche Geldmonopol für die Maximalisten in Fiat-Währungen (von lat. fiat, "es werde") wie dem Dollar oder dem Euro, die ihren Wert nur daraus beziehen, dass Menschen an sie glauben. Die Zentralbanken verfügen zwar über Reserven an Gold, Devisen oder Anleihen. Ein Recht darauf, etwa Euro jederzeit in Gold umtauschen zu können, gibt es jedoch nicht.

Zugrunde liegt der Ideologie der Maximalisten ein fundamentales Misstrauen in den Staat, das libertäre und neoliberale Strömungen nicht nur in den USA seit langem prägt. Damit knüpfen sie an ein wirtschaftstheoretisches und ideologisches Denkmuster an, das eine seiner Keimzellen in der Österreichischen Schule der Nationalökonomie hat. Geht es um Vordenker für den 2008 geschaffenen Bitcoin, fällt immer wieder ein Name: Friedrich von Hayek.

Geld ohne Staat

1976 veröffentlicht der Nobelpreisträger Hayek einen Essay mit dem Titel "Denationalisation of Money" (dt. 1977 "Entnationalisierung des Geldes"). Hier führt Hayek einen polemischen Feldzug gegen Regierungen und Zentralbanken, denen er die Schuld an Inflation und Wirtschaftsflauten gibt. So bezeichnet er das "Regierungsmonopol, Geld zu drucken und zu kontrollieren", als "Quelle und Ursprung allen monetären Übels".

Regierungen hätten in Geldangelegenheiten "immer und überall ihr Vertrauen missbraucht, um das Volk zu betrügen". Die staatliche Währungshoheit sei zu einem "Hauptinstrument für die vorherrschende Regierungspolitik geworden, die in hohem Maße das Wachstum der Regierungsmacht unterstützt". Was Hayek vorschlägt, ist ein privatwirtschaftlicher Wettbewerb zwischen Währungen ohne staatlichen Einfluss, der automatisch für eine Stabilisierung der Währungen sorgen würde.

"Bitcoin ist eine Religion"

Doch spätestens hier endet die Zustimmung der Bitcoin-Apostel. Für sie gibt es keinen Coin neben dem Bitcoin. Ihr Kreuzzug richtet sich daher nicht nur gegen nationale Währungen, sondern auch gegen Krypto-Konkurrenten wie Ether, Tether und die zigtausenden Altcoins, die sie nonchalant als "Shitcoins" zusammenfassen.

"Der Diskurs wurde von sehr eindimensional denkenden Menschen übernommen", beurteilt der Basler Wirtschaftstheoretiker Aleksander Berentsen den Aufstieg der Bitcoin-Maximalisten. "Für sie ist der Bitcoin eine Religion." Das führe dazu, dass Diskussionen über Vor- und Nachteile unmöglich werden: "Wenn Sie auf Twitter eine andere Meinung vertreten, werden Sie fix und fertig gemacht." Auch der Schweizer ließ sich daher zuletzt zu etwas Polemik hinreißen: "Bitcoin Maxi = Brain Mini" schrieb er auf Twitter.

Im Nachhinein hätte er lieber "IQ MINI" geschrieben, gesteht er. Dabei hält Berentsen, der ein Buch über Bitcoin und die Blockchain veröffentlicht hat, die Kryptowährung selbst für innovativ. Sie ermögliche erstmals "echtes" Eigentum an einem digitalen Vermögenswert, da es zu dessen Verwaltung keine Drittparteien mehr braucht.

Die Last der Freiheit

Was die Maxis laut Berentsen übersehen: Auch Bitcoin selbst ist eine Fiat-Währung: "Der Bitcoin wird aus dem Nichts geschaffen. Er ist ein soziales Konstrukt. Nur wenn die Leute daran glauben, wird er einen Wert haben." Und das sei nicht einmal schlecht. Denn Wirtschaftstheoretiker gehen davon aus, dass Währungen, die nicht mit einer Sicherheit wie Gold hinterlegt sind, am effizientesten sind.

Die große Freiheit aber, die die Maximalisten verheißen, hat eine Kehrseite. "Die Welt wird nicht weniger komplex. Intermediäre wie Banken oder Berater wird es daher weiterhin brauchen." Aber Berentsen betont: "Die Menschen sind jetzt nicht mehr gezwungen, einen Intermediär zu nehmen. In der Balance of Power wird das eine massive Verschiebung bringen." Um aber wirklich als Zahlungsmittel in großem Stil eingesetzt werden zu können, muss das Bitcoin-Netzwerk wesentlicher Probleme Herr werden. So ist die Zahl der Bitcoin-Transaktionen derzeit etwa auf sieben pro Sekunde begrenzt. Weltweit.

So sehr die Maximalisten auch von der Demokratisierung des Geldes durch den Bitcoin schwärmen – selbstlos ist ihr Engagement nicht. Michael Saylor etwa besitzt über seine Softwarefirma Microstrategy knapp 130.000 Bitcoins im aktuellen Wert von rund 2,6 Milliarden Euro. Robert Breedlove ist mit Parallax Digital als Krypto-Investment-Berater tätig. Cory Klippsten betreibt mit Swan Bitcoin eine Kryptobörse.

Washington wacht auf

Und längst haben die staatskritischen Bitcoin-Apologeten Lobbyisten in hohen politischen Kreisen gefunden. Anfang Juni brachte die republikanische US-Senatorin Cynthia Lummis (Wyoming) einen Gesetzesantrag ein, der die amerikanische Kryptoindustrie vorantreiben soll. Lummis war eine der letzten Republikanerinnen gewesen, die nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner noch an Trumps These von der gestohlenen Wahl festgehalten hatten. Auf der Spenderliste ihre Personenkomitees "Lummis for Wyoming" finden sich Unternehmen und Organisationen wie die Block Chain Defense Initiative, Compass Mining, Multicoin Capital, Blockchain Capital oder der Delta Blockchain Fund.

In einer Senatsdebatte im Oktober 2021 hatte Lummis bereits unmissverständlich klargemacht, auf welcher Seite sie in Sachen Bitcoin zu finden ist: "Danken wir Gott für Bitcoin und andere Nicht-Fiat-Währungen, die die Unverantwortlichkeit von Regierungen transzendieren." Michael Saylor war einer der Ersten, die die frohe Botschaft teilten. Natürlich auf Twitter. (Michael Windisch, 11.10.2022)