Es handelt sich um den ersten Angriff auf Kiew seit Monaten.

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Kiew/Moskau – Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist es am Montag zu schweren Explosionen gekommen. Es habe mehrere Einschläge gegeben, teilte Bürgermeister Witali Klitschko auf Telegram mit. Auch aus dem Westen und dem Zentrum der Ukraine wurden Explosionen gemeldet. Insgesamt zählte die Ukraine 83 Raketen. Am Montagnachmittag sprach die ukrainische Polizei von zehn Toten und 60 Verletzten.

Russland versuche die Ukraine zu zerstören, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Russland töte "unsere Leute, die zu Hause in Saporischschja schlafen. Sie töten Menschen, die in Dnipro und Kiew zur Arbeit gehen." In der ganzen Ukraine gebe es weiter Luftalarm und Raketeneinschläge. Selenskyj kündigte außerdem eine Sondersitzung der sieben führenden Industrienationen (G7) für Dienstag an.

Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete die Raketenangriffe am Montag offiziell als Antwort auf "terroristische Akte" gegen russisches Gebiet und kündigte eine "harte Antwort" an. Am Samstag war es auf der für Russland strategisch wichtigen Krim-Brücke über die Meerenge von Kertsch zu einer Explosion gekommen.

Elf wichtige Infrastruktureinrichtungen in Kiew und acht Regionen sind nach Angaben der ukrainischen Regierung beschädigt worden. "Einige Gebiete sind nun von der Außenwelt abgeschnitten. Man muss sich auf zeitweilige Unterbrechungen von Licht, Wasserversorgung und Kommunikation einstellen", teilte Ministerpräsident Denys Schmyhal über den Kurznachrichtendienst Telegram mit.

Luftalarm in weiten Teilen der Ukraine

"Die Hauptstadt wird von den russischen Terroristen angegriffen", schrieb Kiews Bürgermeister Klitschko in sozialen Medien. Die Angriffe konzentrierten sich demnach auf die Innenstadt und den Stadtteil Solomjanskyj. Luftsirenen ertönten, die Menschen brachten sich, soweit möglich, in Schutzkellern in Sicherheit. Rauchwolken waren über der Stadt zu sehen. An einem Verkehrsknotenpunkt standen zerbombte Autos.

"Die Hauptstraßen von Kiew sind von Sicherheitskräften gesperrt worden, die Rettungskräfte sind im Einsatz", schrieb Klitschko. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Tod von fünf und die Verletzung von zwölf Kiewern bestätigt", teilte der Berater des Innenministeriums, Anton Geraschtschenko, auf Telegram mit. Es sei auch ein Kinderspielplatz und die Klitschko-Brücke, ein touristisches Prestigeobjekt, getroffen worden.

In fast allen Landesteilen galt Luftalarm. "Ein massiver Raketenangriff auf das Gebiet, es gibt Tote und Verletzte", erklärte der Militärgouverneur der Region Dnipropetrowsk um die Industriestadt Dnipro, Walentyn Resnitschenko, auf Telegram. Über Einschläge berichteten auch die Behörden von Lwiw, Chmelnyzkyj, Ternopil und Schytomyr.

Feuerwehrleute stehen nach dem Raketenangriff auf die Stadt Dnipro um einen Krater.
Foto: AP Photo/Leo Correa

Mehrstöckiges Wohnhaus in Saporischschja zerstört

Auch in der ostukrainischen Metropole Charkiw kam es teilweise zu Stromausfall. Es habe am Morgen drei Attacken aus der Luft gegeben, teilte Bürgermeister Ihor Terechow am Montag im Nachrichtenkanal Telegram mit. Ein Ziel sei die Energieinfrastruktur gewesen. "In einigen Teilen der Stadt ist der Strom weg, es gibt keine Wasserversorgung", erklärte Terechow.

Vier Tote gab es Behördenangaben zufolge durch einen Raketenangriff in der ostukrainischen Großstadt Slawjansk im Gebiet Donezk. Der Einschlag sei im Stadtzentrum erfolgt, teilte Bürgermeister Wadym Ljach mit. In der westukrainischen Großstadt Lwiw seien schwere Explosionen zu hören, teilte der Bürgermeister Andrij Sadowyj mit. "Wegen des fehlenden Stroms wurde der Betrieb des städtischen Heizkraftwerks vorübergehend eingestellt", teilte Sadowyj am Montag bei Telegram mit. Es gebe daher kein heißes Wasser.

Die Stadt Saporischschja, in deren Nähe Europas größtes Atomkraftwerk liegt, wurde in der Nacht erneut mit Raketen beschossen. "Infolge eines Raketenangriffs im Zentrum von Saporischschja wurde erneut ein mehrstöckiges Wohnhaus zerstört", schrieb der Gouverneur der Region, Olexandr Staruchin, auf Telegram. "Es gibt Verletzte."

DER STANDARD

Erster Angriff auf Kiew seit Monaten

Zuvor hatte der Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, der Ukraine Vergeltung für die Explosionen auf der für Russland strategisch wichtigen Krim-Brücke angedroht. Medwedew hatte am Sonntag gesagt: "Alle Berichte und Schlussfolgerungen sind gemacht. Russlands Antwort auf dieses Verbrechen kann nur die direkte Vernichtung der Terroristen sein." Präsident Wladimir Putin hatte am Sonntag von einem "Terroranschlag" auf die Brücke gesprochen und – wie Medien in Kiew – den ukrainischen Geheimdienst SBU verantwortlich gemacht. Bestätigt hat der SBU eine Beteiligung aber nicht.

Die SBU-Zentrale liegt im Stadtzentrum von Kiew. Die Machtzentrale in Moskau hat wiederholt gedroht, Kommandostellen in der ukrainischen Hauptstadt ins Visier zu nehmen, wenn der Beschuss russischen Gebiets nicht aufhöre. Kiew ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs mehrfach von russischen Raketen getroffen worden. Es war der schwerste Vorfall dieser Art und der erste Angriff auf die Stadt seit Monaten.

EU kritisiert Angriffe, China hofft auf Deeskalation

International wurden die russischen Raketenangriffe scharf kritisiert. Der britische Außenminister James Cleverly bezeichnete diese als inakzeptabel. "Dies ist eine Demonstration der Schwäche von Putin, nicht der Stärke", schrieb Cleverly auf Twitter. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola betonte am Montag, die Geschehnisse zeigten der Welt einmal mehr, mit was für einer Führung man es in Moskau zu tun habe. Diese lasse Terror und Tod auf Kinder herabregnen. "Das ist kriminell." Ein Sprecher des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) beurteilte die Attacken als Kriegsverbrechen. China rief zu Deeskalation auf. "`Wir hoffen, dass sich die Lage bald deeskaliert", sagte Außenamtssprecherin Mao Ning in Peking.

"Es ist niederträchtig & durch nichts zu rechtfertigen, dass Putin Großstädte und Zivilisten mit Raketen beschießt", schreibt Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf Twitter.

Kritik kam auch aus Österreich. "Der russische Beschuss von ziviler Infrastruktur in Kiew und anderen Städten der Ukraine ist abscheulich und feig. Diese Attacken müssen sofort aufhören", schrieb Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Montagvormittag auf Twitter. Der Kreml wies dies umgehend zurück: Österreich habe "wohl kaum das Recht", von Russland zu verlangen, den Raketenbeschuss der Ukraine zu beenden, erklärte Putins Sprecher Dmitri Peskow. (APA, 10.10.2022)