Im Gastblog interpretiert Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die achte Folge der Prequel-Serie zu "Game of Thrones".

Zunächst einmal: Die Verwirrung hat im Kommentar zur vorangegangenen Folge auch mich ereilt, als ich von Aemond und Aegon als den Stiefbrüdern von Jacaerys und Lucerys gesprochen habe. Das stimmt natürlich nicht. Und ein Teil der Spannungen zwischen diesen vieren in Folge 8, die sich ja zumindest in den Worten Aemonds daran festmachen, ob man stolz auf seine Familie sei, wäre dann auch nicht so verständlich. Zwar sind beide Brüderpaare mit dem König verwandt, Aemond und Aegon als dessen Söhne, Jacaerys und Lucerys als dessen Enkel – und diese Blutlinie ist ja auch für alle unstrittig –, aber sie teilen kein Elternteil miteinander, und mehr und mehr stehen sie einander als "Die Grünen" und "Die Schwarzen" gegenüber.

Mehr noch: Aegon und Aemond vertreten die, sagen wir mal vorsichtig, Gruppe der Kinder mit besonderem psychosozialem Förderbedarf. Aegon hat ein Dienstmädchen vergewaltigt, Aemond fällt während des letzten Mahls seines Großvaters nichts Besseres ein, als Jacaerys und Lucerys als "strong" zu bezeichnen. Zugegeben, die beiden sind seit kurzem die Erben des Eisernen Throns sowie von Driftmark eingesetzt worden, wobei Lucerys sein Amt aller Voraussicht nach auch bald wird antreten müssen. Aber das gefällt nicht einmal Alicent.

Viserys' Krankheit ist schwer verlaufen, sodass sich Alicents Position weiter gestärkt hat.
Foto: Sky/HBO

Immerhin geht Aemond einigermaßen geschickt vor, denn er kann sich darüber herausreden, dass die beiden Jungen als "strong" zu bezeichnen doch ein Kompliment sei, und jeder, der das anzweifle, stelle deren Stärke infrage. Weniger geschickt, aber auch weniger manipulativ ist Vaemond. Dessen Bruder Corlys ist im Kampf gegen die Triarchy schwer verwundet worden, sodass sich die Frage der Nachfolge in Driftmark stellt.

Die Zeit heilt alle Wunden nicht

Kurzer Einschub: Ein bisschen ermüdend droht es zu werden, dass immer wieder Figuren im besten Alter sterben und sich so wieder und wieder Fragen der Nachfolge und neuen Heirat stellen. Und wer schon alles gestorben ist! Zwar äußert an einer Stelle Rhaenys, der "Fremde" (= der Tod) sei ihr schon so oft begegnet, doch noch deutlicher können wir uns am Beispiel von Rhaenyra vor Augen führen, wer mittlerweile schon alles gestorben ist: ihre Mutter (Aemma) und ihr ungeborenes Geschwister, ihr Vater (Viserys), ihr Ehemann (Laenor, jedenfalls in der "offiziellen" Version, die für Nachfolgefragen ja die entscheidende ist), der Vater ihrer Kinder (Harwin), dessen Vater (Lyonel), ihre Schwägerin (Laena, samt Kind), der Onkel ihres ersten Ehemanns (Vaemond), die erste Frau ihres zweiten Mannes (Rhea) und bald auch noch ihr ehemaliger Schwiegervater (Corlys).

Es stellt sich also die Frage, wie oft es dem Spannungsbogen noch dienlich sein wird, dass die Gruppe der Noch-nicht-Gestorbenen zusammentrifft, um zu konferieren, wer nun welche Position erbt, wessen Kinder wo platziert und mit wem, meist inzestuös, verheiratet werden (Breaking News: Helaena ist nun mit ihrem Bruder Aegon verheiratet, Jacaerys und Lucerys werden ihre Halbschwestern – dieses Mal stimmt es! – Baela und Rhaena heiraten).

Neben diesem ersten Risiko, das Publikum zu verlieren, gibt es ein zweites: Wir erleben schon wieder einen Zeitsprung, dieses Mal um sechs Jahre. Das erklärt die vielen Todesfälle und Hochzeiten, wir springen im Wesentlichen ja zu Zeitpunkten, an denen durch das eine oder das andere davon, oder beides, neue Machtverhältnisse entstehen. Und man kann natürlich fragen, ob die Alternative so spannend wäre: Wir würden Viserys dann häufiger "milk of the poppy" trinken, Daemon häufiger auf seinem Motorrad, äh, Drachen reiten oder Aegon häufiger masturbieren sehen.

Vielleicht sollten wir für die Zeitsprünge dankbar sein. Allerdings haben sie den Effekt, dass wir oft nur das Ergebnis veränderter Verhältnisse sehen, zum Beispiel zwischen Rhaenys und Rhaenyra, aber nicht, wie sich die Verhältnisse verändern, etwa infolge der Anschuldigung, Rhaenyra habe etwas mit Laenors (angenommenem) Tod zu tun. Wir sehen nur, wie Rhaenys mit ihr (wieder?) milder wird. Das ist schon oft passiert, zum Beispiel als es darum ging, wie Criston weiterhin am Hof bleibt (die Königin beschützend, die Jungen im Kampf trainierend), nachdem er dissozial auffällig geworden ist.

Wir müssen also oft die Lücken füllen. Manchmal ist das spannend, beziehungsweise ist die Entwicklungslinie leicht zu erkennen. Viserys' Krankheit ist schwer verlaufen (sie dauert ja aber auch schon fast 20 Jahre an), sodass Alicents Position, und die ihres Vaters Otto, der sich immerhin als Vorsitzender der Berufungskommission zu Corlys' Nachfolge auf den Thron setzen kann, sich weiter gestärkt hat. Das äußert sich auch in ihren, man muss es wohl so sagen, mittlerweile angelamerkelhaften Mundwinkeln.

Vaemond spricht vor und möchte sein Recht als Erbe von Driftmark geltend machen, sollte sein Bruder seinen Verletzungen erliegen. Dazu muss er aber die velaryonische Blutlinie von Lucerys infrage stellen, wieder einmal spricht also jemand aus, was alle wissen: Er ist biologisch nicht Laenors Sohn. Kurz gesagt: Vaemond bezeichnet ihn als Bastard und wird vom anderen "Second Son", Daemon (der, nebenbei gesagt, hier seinen Stiefsohn verteidigt, allerdings auch den Onkel seiner verstorbenen Frau tötet), enthauptet. Na ja, teilenthauptet.

Das Phantom, der Opa

Aber wir müssen noch einen kurzen Schritt zurück gehen. Während der Beratung schleppt sich Viserys in den Thronraum, mit der letzten ihm zur Verfügung stehenden Kraft und mit einer Teil-Gesichtsmaske. Wir haben ihn zuvor auf dem Sterbebett gesehen, in wirklich nicht allzu gutem Zustand, physisch wie geistig. Rhaenyra, die zum sechsten Mal schwanger ist, hat ihm seine Enkel (und zugleich Neffen) gezeigt – und er hat sie für einen kurzen Moment für Alicent gehalten. Die Jungen heißen Aegon und Viserys. Ja, das tun sie wirklich. Noch eine Gefahr, das Publikum zu verlieren. In der Geschichtsschreibung kann man gut "Aegon III." oder Ähnliches schreiben, aber in den Dialogen wird das schwierig, es sei denn, wir wollen wirklich hören, wie jemand etwas sagt wie "Viserys II., komm bitte zum Essen. Und sag auch deinem Bruder Aegon III. Bescheid." Ich werde darauf zurückkommen.

Viserys rafft sich also auf. Es geht ihm wieder einmal darum, für Einheit und Friedfertigkeit zu sorgen. Er sagt: "I must admit my confusion" – und das bezieht sich auf seine Verwunderung darüber, dass über die Nachfolge von Driftmark überhaupt diskutiert wird, wenn Corlys doch bereits einen Nachfolger ernannt hat, nämlich Lucerys, Viserys' Enkel. Rhaenys unterstützt ihn (und beide damit Rhaenyra), was im erforderlichen Ausmaß zu Provokation für Vaemond führt, dass er ausfällig und teilenthauptet wird.

Jedenfalls hat Viserys einen (vor)letzten Auftritt, und sein Wort gilt. Auch beim anschließenden Mahl (über Daemons Gewalttat ist für alle außer Rhaenys schnell Gras gewachsen) spricht er über sein Anliegen, dass sich alle gut verstehen sollen. Dabei zeigt sich als Problem weniger, dass er seine Maske abnimmt (am Essenstisch!) und das bemerkenswerteste halbverschwundene Gesicht seit Gustavo Fring offenbart, sondern eben dieses Anliegen nach Einheit und Frieden, das wiederholt zum Gegenteil führt. Zuvor hatte ihn Rhaenyra darauf hingewiesen: Er habe sich um die Einheit des Reiches gesorgt und ihr diesen Auftrag mitgegeben, als er sie zur Erbin ernannt habe, damit aber das Gegenteil bewirkt. Am Essenstisch zeigt sich der Unfrieden, wie oben beschrieben, im Verhältnis der vier Jungen zueinander. Aber er kündigt sich noch an anderer Stelle an.

Alicent Wonderland

Die Episode endet mit Visarys' Ende. Nun sitzt Alicent an seinem Bett, aber er erkennt sie augenscheinlich nicht, beziehungsweise: Er hält sie für Rhaenyra und schließt an eine vorangegangene Unterhaltung mit dieser an. Rhaenyra hatte ihn danach gefragt, ob er an die Prophezeiung glaube; gemeint ist Aegons I. Traum vom "Prince (m/f/d) that was promised", das spielt später auch in Game of Thrones eine Rolle, wenn es um "The long night" geht! Für Rhaenyra ist das eng damit verbunden, ob sie Königin werden soll – und ob sie es ist, die als Stifterin von Einigung im Reich vorbestimmt ist. Viserys antwortet nun Alicent, die er verkennt, auf Rhaenyras Frage. In aller Deutlichkeit sagt er ihr, er glaube an die Prophezeiung in Aegons Traum (zur Orientierung: Aegon I. = Eroberer von früher; Aegon II. = Dienstmädchenvergewaltiger der Gegenwart und Sohn von Viserys und Alicent; Aegon III. = brandneuer Sohn von Rhaenyra und Daemon).

Alicent, wer mag es ihr verdenken, verkennt jedoch auch etwas, denn sie nimmt an, ihr sterbender Ehemann spreche über die Vision ihres gemeinsamen Sohnes und dessen Vorbestimmung als Einiger des Reichs. Sein "Du musst es tun", das er an die mit ihrer Königinnenkompetenz und der Möglichkeit von Einigung im Reich hadernde Rhaenyra zu richten meint, wird von Alicent als Aufforderung an sie verstanden, für den Thron zu kämpfen. Und wir wissen, dass Alicent nicht gerade gefeit ist gegen Einflüsterungen ihrer Motive oder Ziele. Schon wieder führt also gerade Viserys' Bemühen um Einigung dazu, dass zwei Lager miteinander streiten.

Weitere offene Fragen: Wie werden Aegon und Viserys, gemeint sind die beiden gemeinsamen Kinder von Rhaenyra und Daemon, also immerhin "reinblütige" Targaryens, in den Brüderpaare-Krieg eintreten? Werden sie "Die Gelben", und steht der Weg in eine Jamaika-Koalition in Westeros offen? Ist Mysaria eine Vorfahrin von Lord Varys? Ist Laenor von seinem Drachen verfolgt worden und droht dieser nun, seine Tarnung als einfacher (reicher) Mann in den freien Städten auffliegen zu lassen? Wie können wir uns überhaupt Staffel 2 vorstellen – Krieg zwischen Aemond und Jacaerys? Oder bleiben die Mütter noch eine Weile in Amt und Würden? Und wann wird jemand sich neue Vornamen ausdenken? (Timo Storck, 11.10.2022)