Sechs von zehn der befragten Pädagogen und Pädagoginnen bemerken Belastungen der Familien verbunden mit den Teuerungen.

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In Österreich sind rund 69.000 Kinder zwischen null und vier Jahren, die eine Betreuungseinrichtung besuchen, von Armut oder Ausgrenzung bedroht, das zeigen die 2020 erhobenen EU-SILC-Daten. Anlässlich dieser Zahlen führten die Kinderfreunde und die Volkshilfe Wien eine Online-Umfrage zum Thema Kinderarmut durch. Die Ergebnisse wurden am Montag präsentiert. Befragt wurden rund 500 Elementarpädagogen und Elementarpädagoginnen in ganz Österreich im August und September dieses Jahres.

Als große Belastungen für armutsgefährdete Familien nennen die meisten Fachkräfte, rund 43 Prozent, die Betreuungskosten, gefolgt von den Kosten für Ausflüge und pädagogische Zusatzangebote, wie Turnen oder Englischkurse. 34 Prozent der Pädagoginnen und Pädagogen bemerken Kinderarmut durch Probleme beim Zahlen des Essensbeitrags.

Teuerungen spürbar

Auch die jüngsten Teuerungen würden sich auf den Kindergartenalltag auswirken. Sechs von zehn Pädagoginnen bemerken schon Belastungen der Familien in Bezug auf die Preissteigerungen. Die finanziellen Herausforderungen würden bei den steigenden Strom- und Gasrechnungen im Herbst und Winter nur schlimmer werden, so die Vermutung.

Außerdem würde Eltern die Betreuung selbst zu teuer werden. Rund ein Viertel der befragten Fachpersonen gibt an, im vergangenen Kindergartenjahr erlebt zu haben, dass Kindern Betreuungsplätze gekündigt werden mussten, weil die Familien die Beiträge nicht mehr bezahlen konnten.

Eine Milliarde Budgetmittel pro Jahr

91 Prozent der Befragten sehen den größten Mehrwert eines Kindergartens darin, Kindern eine Bildungsmöglichkeit zu geben, die nicht vom Hintergrund ihrer Eltern abhängt. Ein Drittel der Befragten fühlt sich durch die elementarpädagogische Ausbildung "nicht genügend" auf den Umgang mit armutsbetroffenen Familien vorbereitet. Jürgen Czernohorszky, Bundesvorsitzender der Kinderfreunde Österreich und Umweltstadtrat in Wien (SPÖ), fordert eine bundesweite Reform der elementarpädagogischen Ausbildung.

Außerdem herrsche generell mehr Handlungsbedarf seitens der Politik. Die befragten Fachkräfte würden sich mehr Personal und Sozialarbeiterinnen im Kindergarten wünschen sowie Zuschüsse für pädagogische Aktivitäten. Kinderfreunde-Geschäftsführerin Daniela Gruber-Pruner fordert mehr Ressourcen für die elementare Bildung – nämlich eine Milliarde Budgetmittel pro Jahr.

Forderungen nach Kindergrundsicherung

Mehr als 85 Prozent der befragten Pädagoginnen befürworten eine Kindergrundsicherung, also eine sozial gestaffelte Geldleistung, die alle Kinder in Österreich vor Armut schützen soll. "Wir können mit der Kindergrundsicherung Kinderarmut in ganz Österreich abschaffen", sagt Judith Ranftler, Leiterin des Bereichs Kinderarmut bei der Volkshilfe Österreich. Die Kindergrundsicherung bestehe einerseits aus einem allgemeinen Betrag, der pro Kind ausbezahlt wird, und soll zusätzlich durch einen individuellen Betrag je nach Einkommen der Erziehungsberechtigten ergänzt werden. Auf die Frage der Leistbarkeit einer solchen Zahlung nennt Ranftler Umverteilung als notwendige Maßnahme.

In einem reichen Land wie Österreich sollte Kinderarmut kein Thema sein, sagt Gruber-Pruner. Außerdem würde die Kindergrundsicherung in dieser Form bereits bestehende Sozialleistungen ersetzen. (Alara Yilmaz, 10.10.2022)