Asmik Grigorian in voller Aktion.

Foto: Michael Pöhn

Die Geschichte ist heftig. Ein Säugling wird ermordet, dessen Mutter entstellt; eine blühende Liebe verdorrt. Und doch: Im Moment der größten Tragik ist nicht Schluss. Jenůfa macht weiter, die Gezeichnete gibt dem Werben eines hartnäckigen Verehrers nach. Hat sie eine andere Wahl? Janáčeks Oper zeichnet ein ländliches Panorama menschlicher Mühsal, das lebenskluge Libretto (nach einem Theaterstück von Gabriela Preissová) steht in der Traditionslinie des empathischen, volksnahen Realismus und kennt Georg Büchner als Vorgänger, Ödön von Horváth als Zeitgenossen und Peter Turrini oder Franz Xaver Kroetz als Nachfolger.

Asmik Grigorian gab am Sonntagabend an der Staatsoper erstmals die Titelpartie von Janáčeks Erfolgsoper, und sie war berührend und wundervoll. Kaum eine Sängerin agiert auf der Opernbühne natürlicher als die 41-Jährige. Wenn sie sich freute oder ärgerte, wenn sie sich von ihrer ersten Liebe, dem Prahlhans und Lebemann Števa begeistert oder enttäuscht zeigte, wenn ihr dessen frustrierter Stiefbruder Laca auf die Nerven ging, dann war ihre Jenůfa keine gekünstelte Opernfigur, sondern eine normale junge Frau, wie es sie auch heute geben könnte. Und gesungen hat die Litauerin auch völlig frei und selbstverständlich: agil, variabel.

Grelle Blitze werden in den Saal geschleudert

Das große Operndrama überließ Grigorian ihrer Kollegin Eliška Weissová, die als sittenstrenge Küsterin bei ihrem Debüt an der Staatsoper die ganze Potenz ihrer vokalen Kräfte demonstrieren wollte: Wie grelle Blitze schleuderte die Tschechin ihre Spitzentöne Publikum und Ziehtochter entgegen. Die Tenöre? David Butt Philip verlieh als Laca der Aggression des ungeliebten Waisenkinds mit einem strahlenden Tenor Ausdruck, Michael Laurenz gab den Števa mit Verve und Höhensicherheit. Eine gewichtige Matriarchin: Margarita Nekrasova als alte Buryja. Eine prägnante junge Stimme: Daria Sushkova als Schäferin. Janáčeks verzahnte Musik interpretierte das Staatsopernorchester unter Dirigent Tomáš Hanus solide. (Stefan Ender, 10.10.2022)