Deutschunterricht als Strafe? An den Förderklassen gibt es Kritik.

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Wie können Kinder, die schlecht Deutsch sprechen oder gerade erst nach Österreich gekommen sind, sprachlich bestmöglich gefördert werden? Folgt man einer neuen Studie im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) Wien, jedenfalls nicht mit jenem Unterrichtsmodell, das unter der türkis-blauen Regierung 2018/2019 eingeführt wurde: den Deutschförderklassen (DFK).

Hatten diese das rasche Erlernen der deutschen Sprache zum Ziel, fehlt es den Schülern laut Studie in der Praxis an Sprachvorbildern. Mehr noch: In vielen Fällen wirken sich die Klassenerfahrungen negativ auf die Beziehung der Kinder zur deutschen Sprache aus. Die Arbeiterkammer fordert daher ein Aussetzen der starren Regelung und die Einführung eines "AK-Sprachschlüssels".

Deutsch ohne Gleichaltrige

Ein kurzer Rückblick: Seit vier Jahren werden Kinder und Jugendliche, die nicht genügend Deutsch sprechen, in eigenen Klassen, getrennt von Gleichaltrigen, unterrichtet. Ab acht Schülerinnen wird eine solche am Schulstandort eingerichtet. Bis zu 20 Stunden pro Woche erhalten sie Deutschunterricht, nur Fächer wie Werken, Musik oder Turnen verbringen sie mit der Stammklasse.

Wie sich diese Zuteilung auf Schüler, Eltern und Lehrer auswirkt, haben der Germanist Hannes Schweiger und die Hochschulprofessorin für Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache, Beatrice Müller, an einer Wiener Volksschule 2020/2021 erhoben. Und die Ergebnisse bringen keine Überraschung: Sie entsprechen dem, was wissenschaftliche Untersuchungen bereits in der Vergangenheit gezeigt haben.

Politische Entscheidung

Die Kinder erleben demnach die Zuteilung als Bestrafung. Eltern beklagen, dass es durch die Trennung keinen Kontakt mehr zu gleichaltrigen Sprachvorbildern gibt, und fürchten, dass die Kinder in ihrer sozialen Entwicklung eingeschränkt werden und das fachliche Lernen zu kurz kommt. Auch seien Laufbahnverluste durch den reinen Fokus auf Deutsch laut Müller "fast vorgesehen".

Warum es diese Klassen – trotz langjähriger Kritik vonseiten der Sprachforschung – in der Form noch gibt, lässt sich jedenfalls nicht durch andere Studien erklären. "Es gibt eigentlich keine wissenschaftlichen Befunde, die dafür sprechen, die Deutschförderklassen auf diese Art und Weise beizubehalten", kritisiert der Experte für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Hannes Schweiger.

Welche Bedeutung der richtigen Sprachförderung zukommt, veranschaulichen die Zahlen zur Mehrsprachigkeit. Ein Viertel der Schulkinder österreichweit spricht zu Hause mittlerweile eine andere Sprache als Deutsch. In größeren Städten ist es sogar jedes zweite bis dritte Kind. Und während viele mit zwei Sprachen aufwachsen, gibt es auch jene Kinder, die nur wenig Kontakt zur deutschen Sprache haben.

Für diese Gruppe schlägt die Arbeiterkammer einen "AK-Sprachschlüssel" vor: Statt derzeit einem soll ein zweites verpflichtendes Kinderjahr eingeführt werden, in dem verstärkt sprachliche Frühförderung stattfinden soll. Bei Bedarf könnten Kinder dann in der Volksschule noch vier weitere Jahre im Klassenverband in Kleingruppen Deutsch-Förderung erhalten. Unterm Strich bräuchte es also ein frühes und langfristiges Angebot, das in sonstige Lernprozesse eingebettet ist. Auch die Erstsprachen sollen hierbei berücksichtig werden.

Altersabhängige Modelle

Nicht unwesentlich ist jedoch der Zeitpunkt, wann Kinder mit dem Erlernen der Sprache beginnen. Für Quereinsteigerinnen bräuchte es laut Oliver Gruber, Referent für Integrations- und Sprachenpolitik der AK Wien, ein anderes Modell, wie er am Beispiel der ukrainischen Schüler veranschaulicht: Seit Ende März 2022 kamen fast 12.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine ins österreichische Schulsystem. In diesem Fall sei eine "parallele Sprachförderung" sogar notwendig, sagt Gruber. Im Unterschied zu den derzeitigen DFKs müsste hier aber das Augenmerk auf der Anbindung zu Gleichaltrigen und zu den Regelklassen liegen. Ob die Förderung letztlich in der Klasse oder in Kleingruppen stattfindet, sollte den Schulen aber selbst überlassen werden.

Weiters fordern die Experten einen Integrationsfördertopf, über den alle geflüchteten Schulkinder psychosoziale sowie sprach- und bildungsbezogene Unterstützung bekommen können.

Kurzfristig verlangen Schweiger, Müller und Gruber das Aussetzen der starren Regelungen der Deutschförderklassen. Ob es so weit kommt, ist noch unklar. Momentan werden im Auftrag des Bildungsministeriums die Deutschförderklassen einer umfassenden Evaluierung unterzogen. Auf Nachfrage des STANDARD heißt es, dass die Ergebnisse im Dezember vorliegen. Erst dann wird sich entscheiden, ob ÖVP und Grüne am bildungspolitischen Erbe der Vorgängerregierung festhalten. (Elisa Tomaselli, 11.10.2022)