Die Esoterikmesse gastiert schon seit Ende der 1990er-Jahre in der Wiener Stadthalle.

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Wer das Programm der Messen in der Wiener Stadthalle durchforstet, findet jede Menge Unverfängliches. Die Berufs- und Studienmesse BeSt gibt es da etwa, die "Baby Expo" oder die Mineralien- und Fossilienmesse Mineralium. Eine andere Schau sticht dagegen schnell ins Auge: die Esoterikmesse "Spiritualität und Heilen", die am Wochenende vom 4. bis 6. November im renommierten Veranstaltungszentrum gastiert.

Und Aufmerksamkeit erregt die Messe vor allem dann, wenn man sich etwas intensiver mit dem Programm des deutschen Veranstalters beschäftigt. "Aura-Chakra-Analysen", "Energie- und Schutzamulette" oder "Runenorakel" werden dort etwa angeboten. Unter den Dienstleistungen finden sich "Energie- und Lichtarbeit", "Tarotberatungen" und "Handlesen"; oder auch "Jenseitskontakte", "Karma-Analysen" und "Reinkarnationstherapie". Was das genau ist? Eine esoterische Methode, die auf dem Glauben an Reinkarnation beruht und mit "Rückführungen" arbeitet, erklärt Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen im Gespräch mit dem STANDARD.

"Vielzahl von Erdenleben"

Im wissenschaftlichen oder gesetzlichen Sinn ist diese Methode – wenig überraschend – nicht als Psychotherapie oder Heilverfahren anerkannt. Bei der Reinkarnationstherapie geht man davon aus, dass Wiedergeburt und Entwicklung einer Seele über eine Vielzahl von "Erdenleben", wie das im einschlägigen Sprech heißt, existieren. Aktuelle Probleme, so wollen die Anbieter wissen, könnten durch frühere Inkarnationen verursacht sein. Traumata früherer "Erdenleben" seien etwa "durch Liebe und Vergebung auch im jetzigen Leben" lösbar.

Magie und Zauberei in der Wiener Stadthalle? Im mit Abstand größten Veranstaltungszentrum Österreichs, das jährlich rund eine Million Besucher zählt? In der Stadthalle, die seit Jahrzehnten Messen mit seriösen Anbietern und Ausstellern beherbergt; die in ihrem mehr als 60-jährigen Bestehen unzähligen Weltstars eine Bühne bot und sich mit dem jährlichen ATP-Tennisturnier, vier Ausgaben der Sendung "Wetten, dass..?" oder dem Eurovision Song Contest 2015 einen hervorragenden internationalen Ruf erwarb; und vor allem: die im Eigentum der Stadt Wien steht und ebenso von dieser betrieben und verwaltet wird.

Grenze liegt bei rechtlicher Zulässigkeit

Die Stadthalle wird an Veranstalter vermietet, die inhaltliche Verantwortung für Messen liege bei diesen, heißt es auf STANDARD-Nachfrage von der Wiener Stadthalle Betriebs- und Veranstaltungsgesellschaft. Sie gehört zur Wien Holding, die die Beteiligungen der Stadt verwaltet und politisch dem Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) untersteht. "Wir stellen grundsätzlich nur den Raum zur Verfügung", sagt eine Sprecherin. Die Esoterikmesse sei zudem nichts Neues, sie finde bereits seit Ende der 1990er-Jahre statt, und es habe bislang "nie Probleme" damit gegeben.

Gibt es also keine inhaltliche Prüfung, was im Rahmen eines Messeprogramms so passiert? Kann gar jeder eine Messe in der Wiener Stadthalle abhalten, der die hohen Beträge für die Miete bereitstellen kann? Es gebe Verträge, heißt es dazu von der Stadthalle. In ihnen werde festgehalten, dass "politische oder religiöse Veranstaltungen" explizit als solche deklariert werden müssen.

Grundsätzlich könne in der Stadthalle alles veranstaltet werden, was rechtlich zulässig sei. In der Hausordnung wird zudem ein Verbot festgehalten, "politische Propaganda und Handlungen zu betreiben sowie rassistische, fremdenfeindliche, verfassungsfeindliche Parolen" zu verbreiten. Die Hausordnung richtet sich zwar vornehmlich an die Besucherinnen und Besucher – gelte aber "natürlich auch für die Veranstalter", wie man betont.

"Gefällt nicht immer jedem"

Wer also ist für die Prüfung zuständig, ob auf einer Messe eventuell politische Propaganda oder verfassungsfeindliche Inhalte verbreitet werden? Die Abteilung Veranstaltungsmanagement übernehme die grundsätzliche Organisation und Prüfung der Machbarkeit, heißt es von der Stadthalle. Gebe es Zweifel über den Inhalt einer Veranstaltung, werde das an die Geschäftsführung herangetragen. Bei rechtlichen Fragen würde zudem die hauseigene Juristin konsultiert. Zumindest in den vergangenen Jahren seien keine Messen aus inhaltlichen Gründen abgelehnt worden.

Auf Demos gegen die Corona-Maßnahmen vermischte sich die esoterische Szene auch mit eingefleischten Verschwörungstheoretikern und der extremen Rechten.
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Ein Verstoß gegen die Hausordnung sei bei der Esoterikmesse jedenfalls ebenso wenig ersichtlich wie rechtlich unzulässige Angebote oder Vorgänge. Und in der Stadthalle legt man Wert auf Vielfalt, heißt es. Das gelte für Messen ebenso wie für das musikalische Konzertprogramm, das "nicht immer jedem" gefalle. Aber: Rechtlich okay, keine weiteren inhaltlichen Einwände – kann es sich ein Unternehmen der Wien Holding wirklich so einfach machen? Suggeriert eine Veranstaltung in der größten Halle Wiens nicht auch offizielles Einverständnis mit den Inhalten? Und geht es da nicht auch um eine Imagefrage für die renommierte Stadthalle und damit für die Stadt Wien?

Pandemie veränderte Blick auf Esoterik

Denn mit dem Coronavirus hat sich auch der Blick auf die Esoterik verändert. Lange wurde die Szene vielleicht belächelt, vielleicht mit ein wenig Skepsis beäugt. Eine echte Gefahr, gar eine Bedrohung, sahen aber die wenigsten darin. Im Laufe der Pandemie aber änderte sich das. Vor allem seit Impfgegner und Anthroposophinnen bei Demos gegen die Corona-Maßnahmen auf eingefleischte Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme trafen und sich in Telegram-Gruppen radikalisierten. Wissenschaftsfeindlichkeit wurde ein geflügeltes Wort in öffentlichen Debatten. Corona-Leugnung und -Verharmlosung sah man auch in Verbindung mit steigenden Fallzahlen wie mit der in Österreich besonders geringen Impfbereitschaft.

"Gibt es böse Geister wirklich?"

Die angebotenen Vortragsreihen auf der auch durch mehrere deutsche Großstädte tourenden Esoterikmesse haben es durchaus in sich. "Gibt es böse Geister wirklich?" lautet der Titel eines Vortrags auf der vorangegangenen Messestation in Hannover. "Der Referent konnte im Laufe von über 25 Jahren viele Erfahrungen im Umgang mit bösen Geistern sammeln", heißt es im Programmtext. Ein anderer Vortrag heißt "Heilen mit Engeln – nach Informationen von Erzengel Raphael". Gehalten wird er von einer Frau, die sich in der Ankündigung als "Engelmedium" bezeichnet.

Auch in Wien angeboten wird der Workshop "Astrologie intensiv" um 700 beziehungsweise 900 Euro (letzterer Preis gilt "für Fortgeschrittene"). In der Ankündigung wird Astrologie als "Mutter aller Wissenschaften" bezeichnet. Eine andere Vortragende wird in der Stadthalle "Aurachirurgie und geistiges Heilen" anbieten und verspricht dadurch "sichtbare und testbare Umwandlung von Materie".

"Keine Geschmackspolizei"

"Ein zentrales Problem ist, dass Anbieter von Esoterik oft etliche Dinge versprechen, die einfach nicht einhaltbar sind", sagt Expertin Schiesser. "Bei Menschen, die das trotzdem glauben, kann das mitunter schweren Schaden anrichten." Gibt es also irgendwo eine Grenze, an der man, zumal inmitten einer Pandemie, sagt: Programm dieser Art kann die Stadt Wien eigentlich nicht mehr in ihren Räumlichkeiten absegnen? Trägt die Stadt da nicht auch eine Verantwortung?

"Geschmackspolizeiliche Grenzen" wolle man aufgrund der Ausrichtung auf Vielfalt nicht definieren, heißt es von der Stadthalle. Auch bei den auftretenden Musikern gebe es immer wieder kontroverse Personen. So gastierte Anfang September etwa die deutsche Rockband Böhse Onkelz, die insbesondere zu Beginn ihrer Karriere für Nähe zum Rechtsextremismus kritisiert wurde, in der Stadthalle. Seien Inhalte nicht strafbar, gehe es auch um Meinungsfreiheit, lässt man dort wissen. "Runenorakel" und "Aurachirurgie" wird es in der Wiener Stadthalle also wohl auch weiterhin geben. (Martin Tschiderer, 11.10.2022)