Wer umweltschonend einkaufen will, achtet auch auf Verpackungsmaterialien. Für Nachhaltigkeitsbewertungen ist der CO2-Fußabdruck aber erst der Anfang.

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Plastik oder Glas – es ist die Gretchenfrage vor dem Kühlregal. Jede Woche müssen sich Konsumentinnen und Konsumenten aufs Neue entscheiden, woraus sie ihre Kuhmilch trinken möchten – sofern sie überhaupt Kuhmilch trinken.

Der Tetra Pak besteht zwar aus Karton, ist aber vor allem bei langlebigen Lebensmitteln wie Haltbarmilch und Saft mit Polypropylen vulgo Kunststoff und Aluminium beschichtet. Die beiden Materialien garantieren Luftdichte und lange Haltbarkeit. Die Glasflasche hingegen hinterlässt einen größeren CO2-Fußabdruck während der Produktion, kommt als Mehrwegflasche aber häufiger zum Einsatz.

Während Konsumentinnen und Konsumenten fröstelnd vor dem Kühlregal Argumente wälzen, kommen Studien zu einem klaren Ergebnis: Glas-Einwegflaschen verursachen zehnmal mehr CO2 als Tetra Pak. Glas-Mehrwegflaschen hingegen liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Tetra Pak, genauso wie PET-Flaschen. Der Messwert liegt zwischen 100 und 114 Gramm CO2 pro Liter Milch.

Sebastian Gollnow vom Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der Boku Wien greift trotz des knappen Ausgangs lieber zu Mehrwegflaschen. Sein Argument: Es geht nicht nur um Treibhausgasemissionen, sondern auch um Wiederverwertung und dadurch weniger Materialaufwand.

Werde kein Kunststoff verwendet, falle das Problem des Littering und damit die Umweltverschmutzung durch Kunststoffprodukte und Mikroplastik weg, sagt der Forscher. Bei Glas funktioniere die Sammlung sehr gut. Außerdem sei es weniger kleinteilig und gelange deshalb nicht so leicht in die Umwelt.

Gollnow ist es gewohnt, Dinge ganzheitlich zu betrachten, er berechnet Ökobilanzen für Verpackungen. Daher weiß er auch, dass es ganz ohne Verpackung meist nicht geht. Der CO2-Fußabdruck der verpackten Produkte, etwa eines Liters Kuhmilch, sei meist viel größer als der der Verpackung – und diese wiederum braucht es, um die Milch zu schützen.

Ökobilanzen umfassen neben dem CO2-Fußabdruck auch Umweltkategorien wie etwa Ressourcenverbrauch. Bei Kunststoff betrifft das fossile Rohstoffe, bei Bio-Kunststoff aus nachwachsenden Materialien wie Zuckerrohr, Kartoffeln und Mais spielt zudem der Wasser- und Ackerbedarf eine Rolle.

Kunststoff vom Feld

Doch sind Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen das bessere Plastik? "Nicht unbedingt", sagt Manfred Tacker. Er ist Geschäftsführer von Circular Analytics. Das Unternehmen führt Nachhaltigkeitsbewertungen von Verpackungen durch. Nachwachsende Rohstoffe, etwa Zuckerrohr, benötigen Ackerfläche. Damit stehen sie in direktem Wettbewerb zur Lebensmittelproduktion.

Für die Zuckerrohrfelder in Brasilien werde zwar angeblich weder Regenwald geschlägert, sagt Tacker, noch stünden die bewirtschafteten Flächen in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion, weil diese Felder ohnehin dafür nicht tauglich seien. "Das lässt sich aber freilich schwer überprüfen", sagt Tacker.

Kunststoff aus Zuckerrohr ist für Tacker "keine Lösung, die man forcieren muss". Coca-Cola hat die sogenannte Plant Bottle bereits 2009 in geringer Stückzahl getestet. Die Flasche bestand zu 30 Prozent aus Zuckerrohr und zu 70 Prozent aus Erdöl. Was für Tacker gegen Plastik aus Zuckerrohr spricht: Der Flächen- und Wasserverbrauch ist höher, ebenso das Eutrophierungspotenzial und damit die Verschmutzung von Gewässern durch Dünger.

Der CO2-Ausstoß sei je nach Berechnungsmethode höher oder auch niedriger. "Verschiedene Studien liefern keine eindeutige Aussage. Kunststoff aus Zuckerrohr ist derzeit eher etwas fürs Marketing als für Nachhaltigkeit", sagt Tacker.

Auch Kunststoffverpackungshersteller Alpla mit Sitz in Vorarlberg kann Flaschen aus Zuckerrohr produzieren, macht das laut eigener Aussage aber nur auf Nachfrage. Der dafür benötigte Mix aus dem Kunststoff HDPE und Zuckerrohr mache das Recycling schwierig.

Alpla ist zudem in einem Joint Venture mit dem schwedischen Unternehmen Billerud Korsnäs im Start-up Paboco – The Paper Bottle Company investiert. Paboco entwickelt derzeit eine Flasche aus Papier. Der Bierkonzern Carlsberg hat bereits 8000 dieser Papierflaschen befüllt und testet sie in ausgewählten Ländern Europas.

Im Inneren besteht die Flasche laut Carlsberg aus Bio-Kunststoff, sogenanntem PEF; die äußere Hülle ist aus Holzfaser von Paboco – alles sei nachhaltig und recycelbar.

Experte Tacker sieht es trotzdem kritisch – wie auch Waschmittelverpackungen, deren äußere Hülle aus Karton ist, wobei das Waschmittel selbst aber in einem Beutel aus Kunststoff verpackt ist. Damit es recycelbar ist, müsste der Konsument oder die Konsumentin das Papier vom Kunststoff trennen – das macht allerdings kaum jemand. "Das ist ein Schwachpunkt", sagt Tacker.

Landet das gesamte Produkt im Papiermüll, wird der Kunststoff verbrannt statt recycelt und wertvolle Ressourcen gehen verloren. Wichtig seien aber kreislauffähige Lösungen. Aus abfallwirtschaftlicher Sicht ist so ein Produkt laut Tacker deshalb nicht ausgereift. Man müsse Verpackungen am Stück wegwerfen und recyceln können.

PET versus Papier

Im Vergleich zu Plastikflaschen aus 100 Prozent PET werde bei der Papierflasche zwar Kunststoff eingespart, dafür benötige man mehr Papier und habe eine Verpackung, die man mühsam auseinanderklauben muss. "Die Papierflasche ist der PET-Flasche hinsichtlich Kreislauffähigkeit und damit auch im Sinne der Nachhaltigkeit unterlegen", sagt Tacker. "Die Entwicklung darf aber nicht stehen bleiben."

Laut Sebastian Gollnow sollte die Hauptmotivation ohnehin sein, den Kunststoffverbrauch zu senken. Neben alternativen Verpackungen könne man Material durch Recycling reduzieren und Lücken in Produktkreisläufen schließen. Damit würde auch das Kühlregal keine unangenehmen Fragen mehr aufwerfen. (Julia Beirer, 11.10.2022)