Manchmal ist es dann ganz einfach. Weil alles passt: das Wetter, der Ort, die Stimmung, die Strecke und ausnahmslos alle Menschen, die einem über den Weg laufen. Dann war es ein guter, ein perfekter Tag. Und zwar für alle.

Foto: Tom Rottenberg

Genau deshalb war der vergangene Sonntag tatsächlich perfekt. Für mich sowieso. Die Premiere des "Höllenstein Trail", jenes kleinen feinen Herbstlaufes in den Wienerwaldhügeln zwischen Perchtoldsdorf und Kaltenleutgeben, als "gelungen" zu bezeichnen wäre untertrieben. Wobei man dazusagen muss, dass ich befangen bin: Der Mann, der für die Streckenführung verantwortlich zeichnete, ist ein guter Freund.

Foto: Tom Rottenberg

Aber der Reihe nach. Es gehört ja zu den Missverständnissen der heimischen Outdoor-Szene, den Wienerwald geringzuschätzen. Das ändert sich zwar – aber es gibt durchaus noch Luft nach oben. Events wie der "Lindkogel Trail", der – diese Woche stattfindende – "Vienna Trail Run" oder Standard-Wald-und-Hügel-und-Wiesen-Laufrouten wie "U4–U4" (von einer Endstation zur anderen – nein, nicht durch die Stadt) leisten ihren Beitrag: Auch in den "flachen Osten" ausgewanderten, zunächst oft höhnenden "Berglern" wird so recht gut Respekt (im Kopf) und Spatzen (in den Beinen) beigebracht.

Foto: Tom Rottenberg

Wichtig in diesem Spiel sind auch Laufgruppen: Beim "Weekly Longrun" des Wemove Runningstore beläuft man die asphaltierte, meist ebene Stadt, Ed Kramers "Trailrockers" sind eher in waldig-hügeligen Gefilden unterwegs. Die Parallele zum Landstraßer Laufschuhshop kommt nicht von ungefähr, schließlich betreibt Ed gemeinsam mit seiner Frau Elisa in Liesing mit Traildog Running ebenfalls ein Laufschuhgeschäft. Mit klarem Fokus.

Den haben auch die Lauftreffs der beiden Shops, wobei eines wichtig ist: Mitlaufen darf überall jeder und jede. Es kostet nichts – und es ist egal, ob man zur Kundschaft gehört oder nicht.

Foto: Tom Rottenberg

Kramer stammt aus Kaltenleutgeben. Er lebt und läuft hier seit Kindheitstagen. Weil es aber ein Leben abseits des Traillaufens gibt, ist Ed auch Triathlet. Sein Verein: das P3 Trisports Team.

Wieso das wichtig ist? Nun: Der Vereinspräsident Robert Pscheidl ist in der Lauf- und Triathlonszene kein Unbekannter. Schließlich zeichnet seine P3-Eventagentur unter anderem für die Triathlons von Wien, Neufeld und Gerasdorf verantwortlich. Pscheidl steckt auch hinter Laufevents wie dem Laxenburger "Schlosspark Laufcup" oder dem dortigen "Company Run". Was in seinem Portfolio fehlt: ein Traillauf.

Ed Kramer: "Robert weiß, wie man Bewerbe organisiert, ich kenne hier jeden Baum, jeden Forstweg und jeden Singletrail." Bingo.

Foto: Tom Rottenberg

Und so machten sich Sonntagvormittag 120 bestens gelaunte Menschen auf den Weg. Oder genauer: auf die Wege. Es gab deren drei. Einen knapp fünf Kilometer kurzen "Gaisberg Funtrail" mit 200 Höhenmetern, den über zehn Kilometer und 350 Höhenmeter führenden "Gaisberg Trail" – und den "Höllenstein Trail": 22 Kilometer mit 850 Bergauf-Metern.

Und weil es vor ein paar Wochen dazu eine (ernst gemeinte) Debatte gab: Nein, bergab gelaufene Höhenmeter werden nicht abgezogen.

Obwohl das spaßig wäre. Weil dann bei Bergläufen (oder einer Everest-Besteigung) am Ende eine Null stünde. Aber auch, weil sich dann ja auch Streckenlängen "nullen" müssten, sobald Start und Ziel am gleichen Ort sind. Der Berlinmarathon etwa wäre demnach ungefähr null Meter lang.

Foto: Tom Rottenberg

Egal. Denn drei Läufe mit insgesamt 120 Teilnehmenden haben etwas Besonderes zu bieten. Erst recht, wenn der Event das erste Mal stattfindet, also noch nicht so bekannt ist, und man sich für den Hauptlauf anmeldet. Wer da hinkommt, ist in der Regel Trail-firm und grundsätzlich fit – und alles andere als ein unsicherer Rookie. Wer Angst vor dem Letzter-Werden hat, ist da also falsch.

Foto: Tom Rottenberg

Einer, mit dem ich da lange gemütlich am Ende des Feldes dahintrabte, brachte es auf den Punkt: "Man merkt, dass viele Hobbyläufer schon Saisonschluss haben: Normalerweise wären wir beide im Mittelfeld. Heute sind wir knapp nicht die Letzten."

Nur war ihm das genauso egal wie mir und allen anderen rund um uns. Wir waren hier, um zu genießen – und das taten wir auch.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich rennt man trotzdem so gut man kann. Wer sich vorher das Streckenprofil angesehen hat, weiß, dass die erste knackige Steigung nicht hinter der nächsten Kurve endet. Wer auch mit Hirn läuft, hetzt da nicht – sondern geht. Und verschnauft zwischendurch auch mal.

Foto: Tom Rottenberg

Das ist beim Traillaufen weder das Eingeständnis einer Niederlage noch ein Zeichen von Schwäche, sondern schlicht taktisch vernünftig.

Oder, wie es ein Spitzenläufer bei einem Trail-Workshop einmal sagte: "Den Trailläufer, der nie geht oder durchschnauft, gibt es nicht – man zeigt halt immer nur die superdynamischen Fotos her."

Foto: Tom Rottenberg

Der "Peak" des Laufes war der Gipfel des Föhrenberges. 575 Meter sind nicht wirklich hoch. Dennoch kraxelte außer mir – soweit ich weiß – nur ein einziger anderer Läufer (René Kuhn, weit vor mir) dort auch noch auf die Josefswarte neben der Kammersteinhütte hinauf.

Die Einladung eines Wanderers, die "Körner", die der Turm wohl gekostet hatte, durch Schnitzel und Pommes zu substituieren, lehnte ich dankend ab – obwohl dableiben bei so einem Ausblick immer eine Option ist: Der Fernblick über die Hügel (und die Lacher der Hüttengäste unten) war es wert, danach nun wirklich als Schlusslicht wieder einzusteigen.

Foto: Tom Rottenberg

Doch diesen Traumlauf nicht ganz zu laufen wäre unverzeihlich gewesen. Das Wechselspiel aus Wald und weiten Blicken, die Farben und die Lichter dieses traumhaft schönen Herbsttages, die kleinen, kurzen Plaudereien mit anderen Läuferinnen und Läufern – im Wechsel mit langen, stillen Solo-Passagen: Das ist es, was Traillaufen ausmacht.

Manchmal stehen zu bleiben, um nur zu schauen, ist da auch kein Fehler – außer man rennt um Platz oder Sieg.

Aber sogar dann kommt bei so einem Lauf das Erlebnis fast immer vor dem Ergebnis.

Foto: Tom Rottenberg

Was auch zum Traillaufen gehört: plötzlich mutterseelenallein (oder mit ein, zwei anderen) irgendwo im Nirgendwo zu stehen. Das passiert auch bei der besten Streckenmarkierung. Andere übersehen vor lauter Anstrengung Abzweigungsanzeiger, ich übersehe sie, weil ich im Traumännlein-Modus trabe, weil ich tratsche und auf alles schaue – außer auf Streckenmarkierungen.

Foto: Tom Rottenberg

Ja eh: High-End-Uhren mit eingespeichertem Track retten einen da. Spannender ist es aber, diese Funktion erst zu aktivieren, wenn man in der Dunkelheit im Eisregen an einer Klippe ins Bodenlose steht. Im Wienerwald kann man sich zwar verlaufen – die Gefahr des für immer unauffindbar Verlorengehens dürfte dieses Wochenende eher enden wollend gewesen sein.

Und so nahmen es (mit einer Ausnahme) alle mit Humor, wenn sie mich ein zweites oder drittes Mal überholten: "Ich sehe heute mehr Landschaft als du", lachte mir einer zu.

Foto: Tom Rottenberg

Ganz abgesehen davon profitierte ich diesmal davon: Dass Dorit die schnellere und stärkere Läuferin ist, ist unbestreitbar. Einen Kilometer nach dem Start war sie weit vorne verschwunden. Meiner Schätzung nach hätte sie im Ziel ankommen müssen, wenn ich gerade bei Kilometer 16 wäre.

Umso verblüffter war ich, als sie mich ziemlich genau dort einholte. Und von ein paar Extrakilometern erzählte: "Als wir die Strecke wieder fanden, war der Abbiegepfeil natürlich da: Den hat der Ed danach hingepinselt. Und jede andere Deutung ist verboten!" Sie lachte.

Foto: Tom Rottenberg

Und so trabten wir die letzten Kilometer dann gemeinsam, verirrten uns um ein Haar auch noch einmal – und genossen jeden Schritt, jeden Moment und jeden Blick in und über den Wald.

Und auch wenn das schon fast kitschig klingt – weil es ja auch kitschig war: Nein, schöner geht echt nicht.

Wie auch?

Foto: Schneeberger

Im Ziel strahlten dann aber sowieso alle. Auch Ed Kramer und Robert Pscheidl, die beiden Veranstalter. Besser, sagten beide, könne eine Premiere nicht gelingen.

Den Höllenstein Trail wird es kommenden Herbst wieder geben. Ich markiere mir den Tag im Kalender, sobald der Termin feststeht. Und empfehle Ihnen, das ebenfalls zu tun. (Tom Rottenberg, 11.10.2022)

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Foto: Tom Rottenberg