Bürgermeister klagen über zunehmende Bürokratie in den Gemeinden. Viele wollen sich

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Gleich sechs Kandidaten wollten Alexander Van der Bellen bei der Bundespräsidentenwahl herausfordern – so viele wie noch nie. Solch einen Andrang würde man sich vielerorts für das Amt des Bürgermeisters nur wünschen.

Etwa in Musau in Tirol. Für die Wahl vergangenen Jänner fand sich kein einziger Bürgermeisterkandidat. Dass gar niemand antritt, ist ein Einzelfall, aber in satten 40 Prozent aller Tiroler Gemeinden stand tatsächlich nur ein Kandidat auf dem Stimmzettel. In Salzburg und Oberösterreich sah es in rund ein Viertel aller Gemeinden genauso aus.

Viele Bürgermeister werfen das Handtuch, Nachfolger aus jüngeren Generationen lassen sich immer schwieriger motivieren, sagt Günther Mitterer, Bürgermeister von St. Johann im Pongau und Obmann des Salzburger Gemeindeverbands. Ganz leer, so wie in Musau, blieb der Stimmzettel in Salzburg zwar nie. "Aber es ist sehr mühsam, Leute zu finden", sagt der Gemeindevertreter. Oft gibt es eben nur Bewerber für das höchste Amt in der Gemeinde. Für Mitterer eine "demokratiepolitische Katastrophe".

Hohe Arbeitslast

Viele Kollegen klagen bei ihm über die hohen Anforderungen, die mit dem Amt verbunden und die kaum zu erfüllen seien. Von Kinderbetreuung über Baurecht bis zum Seniorenheim ist der Ortschef für alles verantwortlich. "Er muss fast schon ein Wunderwuzzi sein", sagt Mitterer. Dass im Amt viele Zuständigkeiten gebündelt sind, ist freilich nichts Neues. Doch in den vergangenen Jahren sei immer mehr Bürokratie dazugekommen.

Ein Eindruck, den Kathrin Stainer-Hämmerle bestätigen kann. Die Politikwissenschafterin hat eine Studie unter Bürgermeistern durchgeführt. Neun von zehn leiden ihr zufolge unter der zunehmenden Bürokratie, 65 Prozent spüren die steigenden Ansprüche an das Amt. "Es ist sehr komplex geworden", sagt Stainer-Hämmerle. So sei etwa die Umsetzung der komplizierten Corona-Regeln oft an den Gemeinden hängengeblieben. Wollen Bürgermeister öffentliche Aufträge vergeben, müssen sie diese bundes- oder sogar EU-weit ausschreiben. Das ist für kleine Gemeinden schwer zu bewältigen.

Immer komplexer

Gleichzeitig klagen Bürgerinnen und Bürger heute viel schneller als früher. "Die Leute sind mündiger geworden und kennen ihre Rechte besser", sagt Stainer-Hämmerle. Früher sei vieles – etwa was Umwidmungen, Baurecht oder Datenschutz betrifft – wenig geahndet worden. Dass das Volk den Bürgermeistern mehr auf die Finger schaut, sei natürlich grundsätzlich gut. Doch viele politische Entscheidungen ziehen einen Rattenschwanz mit sich, der Mehrarbeit bedeutet.

Und dann wäre da noch die Amtshaftung, die einen Bürgermeister im schlimmsten Fall sogar ins Gefängnis bringen kann, wie der Fall des ehemaligen Bürgermeisters der Stadt Salzburg, Heinz Schaden, zeigt. Er wurde wegen Untreue im sogenannten Swap-Prozess zu drei Jahren Haft verurteilt. Der Villacher Bürgermeister Günther Albel wiederum muss 50.000 Euro zahlen, weil es in seiner Stadt Ungereimtheiten bei der Stimmenauszählung für die später aufgehobene Bundespräsidenten-Stichwahl gab.

"Das Schaden-Urteil hat alle wachgerüttelt", sagt Mitterer vom Gemeindeverbund. Gemeindepolitische Entscheidungen werden nun "doppelt und dreifach geprüft", das sei aber vor allem für Gemeinden, die sich keinen eigenen Juristen leisten, zusätzlich belastend.

Drohungen gegen Familien

Dazu kommen Anfeindungen gegenüber den Gemeindechefs, die in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Die sozialen Medien machen es einfach, auch anonym Kritik zu üben – wobei häufig auch die Grenze zu untergriffigen Kommentaren, vor allem gegen Bürgermeisterinnen, überschritten wird. Vereinzelt gibt es auch Drohungen, berichtet Mitterer, die sich manchmal sogar gegen die Familie des Gemeindechefs richten.

Dabei ist das Vertrauen in die Lokalpolitik allgemein hoch, zumindest wenn man den Zahlen des Gemeindebundes glaubt: 42 Prozent vertrauen der Politik auf Gemeindeebene am meisten, gefolgt von der Landespolitik (19 Prozent), der EU-Ebene (zehn Prozent) und dem Bund (sieben Prozent). Das Vertrauen in die Bürgermeister ist in den vergangenen Jahren sogar gestiegen. Für Mitterer ist das ein Indiz dafür, dass es vor allem ein kleiner Teil der Bevölkerung ist, der immer lauter und radikaler wird und die Debatte vergiftet. Kritik müsse natürlich möglich sein und sei sogar erwünscht. "Aber wir brauchen mehr Respekt vor dem Amt und einen besseren Umgang miteinander", fordert Mitterer.

Gutes Image als Chance

Dass das Image der Gemeindevertretung grundsätzlich hoch ist, sieht Stainer-Hämmerle als Chance für die Politik. "Wenn jemand noch Vertrauen genießt in unserem politischen System, dann sind es die Bürgermeister", sagt die Politologin. Die anderen politischen Ebenen müssten diese unterstützen, etwa mit Schulungen, Serviceleistungen in rechtlichen Fragen – und auch mit besser umsetzbaren Gesetzen. Parteien müssten sich zudem überlegen, wie man junge Menschen für Politik begeistern könnte, etwa mit überparteilichen Initiativen. Mit dem klassischen Weg über Vorfeldorganisationen oder Vereine könnte man die Nachfolgegeneration jedenfalls nicht mehr für politische Ämter motivieren.

Oft fehlt es auch an Vorbildern. Nur 193 der 2093 Gemeindechefinnen und -chefs sind unter 40 Jahre alt. "Das Rollenbild des Bürgermeisters ist immer noch der über 60-jährige Mann", sagt Bernadette Geieregger. Die 29-Jährige wurde vor zwei Jahren zur Bürgermeisterin der niederösterreichischen Gemeinde Kaltenleutgeben gewählt. Zum Wahlsieg bekam sie als junge Frau gleich einen Skepsisvorschuss mit – der sich inzwischen, wie sie sagt, in Luft aufgelöst hat.

Junge Vorbilder

In vielerlei Hinsicht hätten die Jungen nämlich einen anderen Zugang, etwa zur Digitalisierung. Ihr Vorgänger hatte noch einen "dicken Laptop", den er nie benutzte – Geieregger antwortet auf Bürgeranfragen gleich am Smartphone. "Ich denke die Zukunft immer mit", sagt sie. Zum Gemeindejubiläum veranstaltete sie eine Party für die 16- bis 35-Jähr-igen der Gemeinde – auch um den politischen Nachwuchs zu fördern.

Geieregger ist freiwillig Vollzeitbürgermeisterin – selbstverständlich ist das nicht. "Ich kann mir das leisten", sagt sie offen. Grundsätzlich würde sie es für sinnvoll halten, wenn alle Bürgermeister ihr Amt hauptberuflich ausüben würden. Das müsste dann aber auch finanziell abgegolten werden.

In Musau, der Gemeinde ohne Bürgermeisterkandidaten, hat sich der bisherige Ortschef Sieghard Wachter bereiterklärt, das Amt weiterzuführen – ein letztes Mal. Die "hohe Politik" sei gefragt, ob es nicht tatsächlich Berufsbürgermeister braucht, um die Jungen für den immer härter werdenden Job zu gewinnen. "Heutzutage ist der Bürgermeister eben nicht mehr Gott wie vielleicht vor 25 Jahren", sagt der 61-Jährige. Wachter macht den Job trotzdem gerne. "Da ist von Büroarbeit bis zum Rasenmähen einfach alles dabei." (Philip Pramer, 16.10.2022)