In Österreich sind rund 69.000 Kinder zwischen null und vier Jahren, die eine Betreuungseinrichtung besuchen, von Armut oder Ausgrenzung bedroht.

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Linz – Steigende Preise für Wohnen, Haushaltsenergie, Verkehr und Lebensmittel belasten immer mehr Menschen. Besonders hart trifft es jene, die ohnehin armutsgefährdet sind – also etwa 15 Prozent der österreichischen Bevölkerung, das sind 1,3 Millionen Menschen. 368.000 davon sind Kinder und Jugendliche.

"Kein Puffer für zusätzliche Preissteigerungen"

Vonseiten der Sozialen Initiative gGmbH mit Sitz in Linz schlägt man nun Alarm. Die Einrichtung, die im Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe, des Sozialministeriums und im Auftrag von Gemeinden und Städten Betreuung, Begleitung und Beratung von Kindern, Jugendlichen und Familien anbietet, verzeichnet einen rasanten Anstieg bei den Klienten – und anderseits steht man vor der Schwierigkeit, mit immer weniger Personal auskommen zu müssen. "Unsere sozialpädagogischen Fachkräfte berichten immer öfter, wie betreute Familien infolge der Teuerung in massive Notlagen geraten", erläutert Martin Hofer, Geschäftsführer der Sozialen Initiative gGmbH. Wohnen, Energie und Lebensmittel würden den Großteil des Einkommens beanspruchen. Hofer: "Für zusätzliche Preissteigerungen bleibt kein Puffer. Wesentliche Güter oder Lebensbereiche sind dann nicht mehr leistbar."

Sozialpolitisches Umdenken notwendig

Die Mitarbeiter der Erziehungs- und Alltagshilfe (EAH) sowie der Sozialpädagogischen Familienbetreuung (SFB) unterstützen, beraten und begleiten betroffene Familien. In Oberösterreich sind die mobilen Teams in beinahe allen Bezirken mit 210 Mitarbeitern tätig und betreuen aktuell 675 Familien. Dieses Netzwerk aufrechtzuerhalten wird aber immer schwieriger. "Wir finden das nötige Personal nicht mehr. Und die Kommunen haben das Geld nicht. Die Leidtragenden sind letztlich die Betroffenen", warnt Hofer. Es brauche von sozialpolitischer Seite endlich ein Umdenken: "Jede Investition wäre in diesem Bereich Gold wert. Letztlich müssen wir uns als Gesellschaft entscheiden, die Jobs im Sozialbereich attraktiver zu gestalten – dann werden wir auch mehr Personal bekommen."

Dreifacher Handlungsbedarf

Es sei die Aufgabe der Politik, hier Lösungen zu finden, ist der Experte überzeugt. In der Sozialen Initiative sieht man drei wesentliche Bereiche, bei denen rascher Handlungsbedarf besteht, damit das Leben für Familien – besonders im unteren Einkommensdrittel – leistbar bleibt und Armutsgefährdung abgewendet werden kann.

Hofer: "Der soziale Wohnbau muss wieder verstärkt gefördert und ausgebaut werden. Dazu kommt, dass Lebensmittel derzeit rund elf Prozent teurer als vor einem Jahr sind." Die Politik müsse "alles tun", damit Lebensmittel leistbar bleiben. "Eine Möglichkeit kann sein, Menschen mit geringem Einkommen unkompliziert und barrierefrei Lebensmittelgutscheine zur Verfügung zu stellen oder über eine Lebensmittelpauschale für Entlastung zu sorgen", ist der Sozialexperte überzeugt. Hinzu komme, dass eine qualitätsvolle Kinderbetreuung mit ausreichend personellen Ressourcen für jeden leistbar sein müsse.

Zurück von der Straße

Was es heißt, zu leben, nur um zu überleben, weiß Frau S. nur allzu gut. Die 40-jährige Oberösterreicherin lebt mit ihrer eineinhalbjährigen Tochter in einer kleinen Wohnung im Raum Linz. Blickt man der Frau ins Gesicht, merkt man, dass da viel an Leben passiert ist. Und an vielen Tagen nicht unbedingt die Sonne gelacht hat.

Sie habe als junge Frau "leider ein paar schlechte Entscheidungen getroffen und war einige Jahre in einer Partnerschaft, in der wir uns gegenseitig hinuntergezogen haben", erzählt die Mutter im STANDARD-Gespräch. Infolgedessen habe sie 15 Jahre lang immer wieder auf der Straße gelebt. "Darunter hat meine Gesundheit sehr gelitten. Mehrere Monate lang war ich wegen einer chronischen Erkrankung in Behandlung, und ich habe in wiederkehrenden Abständen große Probleme mit den Bandscheiben und den Lendenwirbeln. Manchmal sind die Schmerzen so groß, dass ich zwei, drei Wochen lang meine Tochter nicht hochheben kann." Aktuell lebt Frau S. von ihrer Invaliditätspension und der Familienbeihilfe.

Sie komme mit dem Geld über die Runden, auch wenn es manchmal knapp ist. "Weil ich einige Zeit auf der Straße gelebt habe, bin ich es gewohnt, sparsam zu sein." Vor allem solle die Tochter alles haben, was sie braucht: "Ich lege ein wenig Geld zur Seite, damit sie eine gute Zukunft hat. Das ist das Wichtigste für mich."

Begleitet wird Frau S. vom Team der Sozialen Initiative gGmbH. Man geht gemeinsam zu Terminen und bietet Unterstützung im Haushalt. "Vor allem die Hilfe mit der Kleinen ist besonders wichtig, wenn ich Schmerzen in den Lendenwirbeln habe. Und manchmal tut es auch einfach gut, mit jemandem zu reden." (Markus Rohrhofer, 11.10.2022)