Die Euphorie um Nobelpreisträger Anton Zeilinger täuscht darüber hinweg, dass Österreich nach wie vor in vielen Bereichen Nachholbedarf hat. Auch beim Vertrauen in die Wissenschaft.

APA/AFP/JOE KLAMAR

Mit dem Physiknobelpreis für den Quantenphysiker Anton Zeilinger hat sich in Österreich kurzfristig so etwas wie eine Wissenschaftseuphorie breitgemacht. Hannes Androsch, Industrieller und Ex-Forschungsratschef, ist diese "Wir sind Nobelpreisträger"-Stimmung ein wenig suspekt: "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", konstatiert er trocken – und mit Blick auf die Ergebnisse einer neuen Studie über die Sichtweisen der Österreicher zum Thema Wissenschaft: "Wir sind eher im Winter." Es liege noch eine Riesenaufgabe vor uns, der Bildung und der Wissenschaft in Österreich zu jener Geltung zu verhelfen, die ihr gebühre.

Nach der Eurobaromter-Umfrage unterfütterte diese neue Untersuchung, die am Dienstag präsentiert wurde, Androschs prägnant formulierten Euphoriedämpfer: "Sehr großes Vertrauen" bringen den Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung lediglich 15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher entgegen. Zumindest "großes Vertrauen" hegen 32 Prozent der vom Spectra-Institut befragten knapp über 1.000 repräsentativ ausgewählten Personen.

Grafik: Spectra, Praevenire

"International großen Nachholbedarf" ortete angesichts dieser Ergebnisse auch Christoph Huber, der Mitbegründer des Pharmaunternehmens Biontech.

Immerhin: Der Anteil der gegenüber Wissenschaft und Forschung "teils" und "sehr skeptischen" Menschen mit neun beziehungsweise zwei Prozent ist wiederum relativ überschaubar. Der Rest zeigte sich relativ indifferent bei den Vertrauensangaben. Personen mit Matura oder höherem Bildungsabschluss bekundeten im Schnitt deutlich mehr Vertrauen als Studienteilnehmer mit weniger hohen Bildungsabschlüssen; zudem ist ein deutliches Stadt-Land-Gefälle zu beobachten.

1.031 befragte Österreicher:innen

Insgesamt wolle er die Ergebnisse "nicht als so negativ bewerten", sagt Walter Wintersberger von Spectra. Im Rahmen der für die österreichische Bevölkerung über 15 Jahren repräsentativen Umfrage wurden von seinem Marktforschungsinstitut im März insgesamt 1.031 Menschen befragt. Den Auftrag zu der Studie "Sichtweisen der Österreicher:innen zum Thema Wissenschaft" gaben die Praevenire Gesundheitsinitiative und die Gesellschaft der Ärzte in Wien.

Fragten die Meinungsforscher nach der Vertrauenswürdigkeit verschiedener Experten, schnitten Wissenschafter nämlich deutlich besser ab als zum Beispiel NGO- oder Wirtschaftsvertreter bzw. Aktivisten. Ganz am Ende rangieren hier "Experten" aus der Politik und Verwaltung bzw. aus den Religionsgemeinschaften.

Grafik: Spectra, Praevenire

Man sehe auch in den Daten, dass das Image von wissenschaftlichen Experten deutlich leide, wenn sie als politiknäher wahrgenommen werden. Einzelpersonen würden durchaus viel Vertrauen genießen, es offenbare sich aber auch, dass die weitverbreiteten Ressentiments gegenüber Institutionen verschiedenster Art abfärben können.

Fehlende entschlossene Taten

Für Huber brauche es eindeutig mehr Initiativen, um das grundsätzlich bestehende positive Bild der Wissenschaft in vielen Gesellschaftsbereichen zu stärken. Diverse Lippenbekenntnisse dahingehend wurden aber in der Vergangenheit "nur bedingt von entschlossenen Taten begleitet", sagte der aus Österreich stammende Wissenschafter und Unternehmer. Letztlich brauche es auch "mehr Forschungsförderung".

Beim Unterscheiden von "wahren" und "falschen" Informationen verlassen sich laut der Studie nur etwas weniger als die Hälfte der Österreicher (48 Prozent) auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Analysen. Unter Menschen mit zumindest abgeschlossener Matura ist die Zustimmung hier mit 60 Prozent deutlich höher als unter Personen, die ihre Bildungskarriere nach der Pflichtschule beendeten (36 Prozent).

Grafik: Spectra, Praevenire

Auf die Konsultation des eigenen Hausverstandes (71 Prozent) und der persönlichen Lebenserfahrung (52 Prozent) beim Erkennen von "Fake News" und Co würden mehr Menschen setzen. Insgesamt nur 25 Prozent würden zur Unterscheidung zwischen Fake und Fakt auf journalistische Berichte in etablierten Medien zurückgreifen.

"Ganz entsetzlich"

Dass nun Wissenschaftsjournalismus in den Plänen zum neuen Medienförderungsgesetz keine Rolle spielt, ist für Huber "ganz entsetzlich und vernichtend für die Gesellschaft". Dem gegenüber stünden nämlich "völlig unregulierte Meldungen im Internet". Die Gesellschaft müsse hier Wege finden, "der Wahrheitsfindung einen Rahmen zu geben".

Immerhin gibt es laut der Umfrage relativ breiten Konsens darüber, dass es für eine Demokratie wichtig ist, wenn Bürger und Bürgerinnen zwischen "wahren" und "falschen" Informationen unterscheiden können. Insgesamt 78 Prozent der Befragten stimmen dem "voll und ganz" oder "größtenteils" zu.

Grafik: Spectra, Praevenire

Ähnliches gilt für die Zustimmung dazu, dass Entscheidungen möglichst auf Basis von gesichertem Wissen getroffen werden sollten: 79 Prozent unterstützten das zumindest "größtenteils". Während hier aber beispielsweise die Hälfte der Befragten aus Wien voll zustimmte, waren es unter der Landbevölkerung nur 31 Prozent. Auf diesem doch recht weit verbreiteten Konsens könne man jedenfalls aufbauen, hieß es bei der Präsentation.

Gesundheit geht vor

Markante Unterschiede gab es auch bei den Einschätzungen der Wichtigkeit von fünf abgefragten Themenbereichen: So fanden insgesamt 42 Prozent der Studienteilnehmer, dass vor allem Fragen zur Gesundheit jetzt angegangen werden müssten, gefolgt von Fragen zu Demokratie (25 Prozent), Wirtschafts- und Finanzfragen (19 Prozent), Umweltfragen (17 Prozent) und dem Thema Digitalisierung (vier Prozent). Das Umweltthema rangierte allerdings bei den 15- bis 29-Jährigen ganz oben, während bei über 50-Jährigen die Gesundheit vorne lag. Am ehesten in Forschung investieren sollte man der Erhebung zufolge in den Bereichen Gesundheit und Umwelt. (APA, tasch, 11.10.2022)