Aktuell gibt es über 200 Subvarianten, die meisten von Omikron, die auf der Welt zirkulieren. Einige sind auch schon in Österreich angekommen. Welche sich durchsetzen wird, zeigt sich wahrscheinlich im November.

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Die Diskussion um die Maske hält uns weiter in Atem. Vorerst kommt sie nicht, wie Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) Mittwoch Abend bekannt gab, das Infektionsgeschehen bremse sich derzeit wieder ein. Trotzdem bleibt offen, ob in bestimmten Settings wieder eine Tragepflicht kommen kann, wenn die Zahlen wieder steigen. Tatsächlich scheint der aktuellen BA.5-Welle langsam die Luft auszugehen. Jene, die diese Mutation infizieren konnte, hat sie bereits erwischt, die Durchseuchung, um es zynisch zu sagen, mit der BA.5-Variante ist erfolgreich abgeschlossen. Das bedeutet aber nicht, dass die Pandemie nun vorbei ist. Es gibt bereits zahlreiche neue Varianten, viele davon sind auch schon in Österreich nachgewiesen. Doch was bedeutet das für den Winter? Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Lage.

Eines vorweg: Alle Varianten, die es zurzeit gibt, bewegen sich immer noch innerhalb der Omikron-Variante, es sind also Subtypen. Eine neue Variante, die wieder einen eigenen griechischen Buchstaben bekommen müsste, ist derzeit nicht in Sicht. Von den Subvarianten gibt es aber zahlreiche. Neben BA.5 ist derzeit deren Untergruppe BA.5.1 stärker verbreitet, weiters gibt es die Varianten BQ.1, BQ.1.1, BJ.1, BA.2.75 mit mehreren Subformen, BA.2.3.2 oder XBB, eine Kreuzung von BJ.1 und BA.2.75, um nur einige zu nennen. Alle genannten Varianten sind auch bereits in Österreich nachgewiesen.

Mutationswettlauf

"Im Moment ist es so, dass viele Varianten unabhängig voneinander immer wieder die gleichen Mutationen kombinieren", erklärt der Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der einen Großteil der Virussequenzierungen durchführt. "Ihnen allen gemeinsam ist, dass diese Mutationen dem Virus helfen, die bereits aufgebaute Immunabwehr unserer Antikörper zu umgehen. Manche machen das über mehrere kleine Schritte, die Variante BQ.1.1 ist den kürzesten Weg gegangen." Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass sich diese Subvariante derzeit am besten durchsetzen kann.

Chinesische Laboruntersuchungen zeigen außerdem, dass die Varianten BQ.1.1, BA.2.75.2 und XBB die derzeit aufgebaute Immunabwehr am besten umgehen können. Das Besondere an der jetzigen Situation ist die unglaubliche Dynamik, mit der sich das Virus verändert. Elling erklärt: "Mutationen entstehen immer zufällig durch einen Abschreibfehler in der Viren-RNA bei der Vermehrung. Erst danach stellt sich heraus, ob die so entstandene Mutation dem Virus einen Wachstumsvorteil bringen kann. Bisher benötigte ein Virus unglaublich viele Mutationen, um einen Wachstumsvorteil zu haben."

So waren frühere Mutationen wie Alpha, Beta oder Delta zwar infektiöser als die ursprüngliche Wuhan-Variante, aber sie konnten nicht prinzipiell automatisch die durch Impfung und Infektion aufgebaute Immunität umgehen. Erst mit der Omikron-Variante gab es so große Veränderungen, dass der Schutz durch bereits vorhandene Antikörper nicht mehr sehr groß war. Wohlgemerkt, wir sprechen hier immer von dem Schutz durch Antikörper, der zurückgeht. Der Schutz durch die T-Zellen und damit vor schwerem Verlauf ist durch aktuelle Mutationen nicht gefährdet.

Infektionsschutz nur noch suboptimal

Der entscheidende Unterschied zu früheren Varianten: Da so viele Mutationen nötig waren, dass sich eine neue Variante durchsetzen konnte, dauerte es sehr lang, bis diese entstehen konnte. So lautet die weithin akzeptierte Theorie, dass sich die Omikron-Variante am wahrscheinlichsten in einer immunsupprimierten Person entwickeln konnte, die das Virus über viele Monate in sich trug.

Seither hat sich das Mutationstempo aber enorm gesteigert, es passieren jeweils viele kleine Mutationen, die jede für sich einen unmittelbaren Vorteil bringen. Elling: "Das ist eine ganz neue Situation, dass die Mutationen so schnell in so vielen kleinen Schritten passieren und nicht in großen Paketen." Durch diese Zerlegung in viele kleine Schritte kann eine Mutation womöglich auch in einem normal gesunden, ganz normal infizierten Menschen passieren.

Der ausschlaggebende Punkt dabei: Mittlerweile haben sich so viele Mutationen vollzogen, vor allem am Spikeprotein, dass die aktuellen Virusvarianten die bis jetzt aufgebaute Immunabwehr nahezu komplett umgehen können. "Unsere Antikörper können nur noch an ganz wenigen Flächen im Spikeprotein überhaupt andocken. Ändern sich diese Stellen auch noch, ist der Schutz vor Infektion bei neuen Varianten praktisch gar nicht mehr vorhanden", sagt Elling. "Deshalb macht inzwischen oft schon eine ganz kleine Mutation den relevanten Unterschied."

Was bedeutet das konkret? Man weiß, dass eine Infektion mit der BA.1-Variante keinen sehr guten Infektionsschutz vor späteren Omikron-Mutationen geboten hat. Mit einer BA.2-Infektion, also bei allen, die etwa zwischen Mitte März und Ende Mai erkrankt sind, war man vor einer erneuten Ansteckung mit BA.5 aber recht gut geschützt. Jetzt kann man sich aber selbst mit einer vor kurzem durchgemachten BA.5-Infektion nicht mehr zuverlässig auf einen aktiven Schutz vor Ansteckung verlassen. Alle Varianten, die derzeit kursieren, können diese Immunantwort nämlich recht gut umgehen, wie Labordaten nahelegen.

Das geht sogar so weit, dass man mit Impfung und BA.1-Infektion gegen eine Infektion mit einer der jetzigen Varianten schlechter geschützt ist als gegen die SARS-Form, die im Jahr 2002/03 eine kleine Pandemie in Südostasien ausgelöst hatte. Man hat also praktisch keinen Infektionsschutz mehr. Elling meint dazu: "Eigentlich haben wir jetzt nicht mehr Covid-19, sondern Covid-22. Durch die Mutationen ist das Virus so weit von der Wuhan-Variante entfernt, dass man es auch SARS-III nennen könnte, und auch das Krankheitsbild hat sich stark verändert."

Zwei mögliche Szenarien

Was bringen also die nächsten Monate? Es gibt zwei mögliche, langfristige Szenarien. Es könnte sein, das sich das Mutationspotenzial von Omikron bald erschöpft und dann eine gewisse Ruhe in der Dynamik einkehrt. Das würde auch eine tatsächliche Pause in der Pandemie bedeuten. Wir wären dann zwar alle recht gut immunisiert gegen Omikron, doch diese Antikörper würden mit der Zeit wieder abnehmen. Durch die Pause würde unsere Immunität abnehmen, und so bestünde die Gefahr, dass sich irgendwann eine komplett neue Variante bilden und durchsetzen könnte, entweder in einem infizierten Säugetier, aus dem das Virus dann wieder auf den Menschen übergeht, oder in einer immunsupprimierten Person.

Die zweite – und wahrscheinlichere – Möglichkeit ist, dass Omikron nicht so bald ans Ende seiner Mutationsfähigkeit gelangt und einfach immer wieder neue Varianten bildet, dass sich also die Evolution nach der jetzigen Konvergenz und den bevorstehenden Wellen in eine neue Richtung bewegt. Derzeit ist diese Möglichkeit auch die Realität, was die vielen zirkulierenden Untervarianten zeigen.

Die Frage ist nun, welche der zirkulierenden Mutationen sich durchsetzen wird. Das kann man noch nicht sagen, Elling vermutet aber aus heutiger Sicht, dass BQ.1.1 und XBB am ehesten das Potenzial dazu haben. "Man muss die Situation aber noch beobachten, aktuell hat weltweit noch keine einzige der zirkulierenden Varianten eine wirkliche Welle ausgelöst, sie existieren eher in kleinen Wellen parallel zueinander. Ich denke, Mitte oder Ende November beginnen wir den Effekt dieser neuesten Varianten zu spüren."

Noch kein Grund zur Entspannung

Derzeit weist auch nichts darauf hin, dass eine dieser Varianten wieder schwerere Krankheitsverläufe verursachen könnte – was ja bei einer neuen Variante immer wieder die Befürchtung ist. Aber auch das kann man noch nicht mit Sicherheit sagen, die Fallzahlen sind aktuell noch zu klein.

Trotzdem kann man sich noch nicht entspannt zurücklehnen und quasi eine Infektion in Kauf nehmen. Man kann auch die Pandemie noch lange nicht mit einer Grippe gleichsetzen. "Die Dynamik ist einfach viel höher und schneller als bei der Influenza, alleine schon durch das Mutationstempo. Omikron hat in wenigen Monaten mehr Mutationen entwickelt als die Influenza von einer Saison auf die nächste." Aufgrund dieses Tempos und dieser Dynamik ist Entspannung noch nicht angesagt. "Und", betont Elling, "die Maske wirkt gegen alle Varianten, egal was da kommt. Deshalb sollte man sie auch tragen." Sonst könne es passieren, dass man sich auch als geimpfte und genesene Person dieses Jahr ein zweites Mal mit Corona infiziert. (Pia Kruckenhauser, 13.10.2022)