Autor und Songwriter Elias Hirschl (rechts) und Producer Christopher Hütmannsberger sind Ein Gespenst.

Foto: Petra Weixelbraun

Der Wiener Autor Elias Hirschl feierte im Vorjahr mit seiner Satire Salonfähig über den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und die Jahre der Burschis seinen Durchbruch. Zur Kenntlichkeit entstellt, wurden da die Verhältnisse und ein System bloßgestellt, bei dem man nicht ganz sicher ist, ob es sich um literarische Überhöhung oder dokumentarische Abbildung handelt.

Die Wahrheit aber ist bekanntlich eine Tochter der Zeit. Sie neigt allerdings dazu, oft aus einem Kuckucksei zu schlüpfen. Und die Zeit war nun auch endlich dafür reif, sich mit einer Musik zu beschäftigen, die möglicherweise von den Eltern des Kanzlers und des Autors zu einer Zeit gehört wurde, als diese beiden großen Wiener Söhne des abgelebten 20. und auch schon wieder von der Gesamtsituation her betrachtet sehr durchwachsenen 21. Jahrhunderts zeugungstechnisch noch nicht einmal angedacht waren.

strizzico.

Im programmatischen Lied The Smiths, das nun auf dem Debütalbum von Ein Gespenst namens Bei Tageslicht enthalten ist (Strizzico Records), ergeht sich Hirschl in einer melancholischen Klage, die der Generation der guten alten Zeiten des postmodernen und immer auch mollig düsteren und verschatteten Postpunk und New Wave heftig zu Gemüte gehen könnte. Nachdem Hirschl dem heutigen, gar nicht mehr so jungen Jugendradio mit Tocotronic, Die Ärzte, Yasmo MC, Wanda, Kraftklub und Deutschrap eine deutliche Absage erteilt, geht es heim zum Plattenschrank der Erziehungsberechtigten: "Joy Division gibt es nicht mehr / New Order gibt mir nichts mehr / Nichts berührt mich mehr / Aber warum fühl ich etwas bei den Smiths / Obwohl ich weiß, dass Morrissey ein Arschloch ist."

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Scherz und Schmerz sitzen tief. Wir hören mollige Klänge aus der Abteilung Trauermarsch für U4-Besucher der frühen 1980er-Jahre. Damals hauten sich die Gothic-Kids eine Dose Haarspray auf den Kopf, zogen das große Schwarze und die spitzen Schuhe an. Die Augenringe musste man sich nicht extra aufmalen. Auch damals schon war man mitunter Drei Tage Wach. Nachts ab zwei Uhr ging es dann richtig los. Mit der U-Bahn konnte man später direkt zur Uni fahren, um dort ein wenig Schlaf zu finden. Im Ohr hatte man Bands wie The Cure, die gerade von der flotteren ersten Phase mit Killing An Arab und Boys Don't Cry zur quälenden Selbstzerfleischung von Pornography gewechselt waren, bevor sie Jahre später mit schrägem Pop zu Superstars gegen jede Rationalität aufstiegen.

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Diesen Spuren folgen auch Ein Gespenst – unter besonderer Berücksichtigung gegenüber den verhallten und verwaschenen Akkordzerlegungsgitarren in Stellung gebrachten und oft die Melodie tragenden Bässen. Dazu tuckert ein heute etwas mehr als früher im Vordergrund stehendes Drumcomputerprogramm. Elias Hirschl singt mit weicher und – wenn schon, denn schon – natürlich auch verhallter und verwaschener Sprechgesangsstimme hübsche und zitatenreich von Altvorderen wie Joy Divison beeinflusste Lieder wie Ich Tanze Nur Aus Höflichkeit, eine Absage an das etwas problematische Genre der heutigen Indie-Disco, die mit Wiedergängern der Pixies oder der Breeders 30, 40 Jahre lang auch nicht viel weitergekommen ist, als sich die Produktionsbedingungen durch die Computertechnik entschieden demokratisiert haben.

Liebe und Drogen allerdings bleibt auch 2022 ein wirklich zeitloses junges Motto, das man einfach so stehenlassen kann. Wie heißt es im Song Ein Gespenst von Ein Gespenst: "Ihr seid das Volk / Wir sind eine Wolke / Aus der Asche / Der letzten Revolte." Die 1980er-Jahre gehen weiter. Schon allein wegen des neuen Kalten Krieges. (Christian Schachinger, 13.10.2022)