Mojtaba Tavakoli arbeitet daran, die Interaktion von Nervenzellen besser zu verstehen.
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Es gibt sicher wenige Wissenschafter, die im Alter von 29 Jahren mehr erlebt haben als der aus Afghanistan stammende Gehirnforscher Mojtaba Tavakoli, der am IST Austria seinen Doktor macht. Mit 14 entschloss er sich mit seinem älteren Bruder zur Flucht aus dem instabilen, durch Kriege zerrütteten Heimatland. Die Familie zählt zur Ethnie der Hazara, einer Minderheit, die stets von der Mehrheit der Islamisten verfolgt wurde. "Wir waren besonders gefährdet, weil wir aufgrund unseres mongolischen Aussehens auch leicht erkennbar sind", sagt Tavakoli. Die Brüder gingen in den Iran, "wo die Hazara auch verfolgt werden", dann weiter in die Türkei. "Wir waren meist zu Fuß unterwegs – und natürlich immer illegal."

Im Schlauchboot nach Griechenland

Schließlich wurden sie von Schleppern mit einem Schlauchboot nach Griechenland gebracht. Auf der Überfahrt ertrank Tavakolis Bruder. Dem Teenager wurde schnell klar, dass er auch das erste europäische Land auf seiner Flucht hinter sich lassen musste. Der nächste Schritt war eine Schiffsreise nach Italien, mit dem Zug ging es dann nach Österreich, das erste Land, wo er einen Asylantrag stellen durfte. "Nach einem halben Jahr kam ich ins Flüchtlingslager Traiskirchen."

Dann war es wohl eine Mischung aus eisernem Willen und Glück, die es Tavakoli ermöglichte, hierzulande sesshaft zu werden. Eine Patenfamilie, ein Schuldirektor: Es gab einige Menschen, die ihm in der schwierigsten Zeit halfen. "Es war nicht nur wichtig, die Sprache zu lernen, ich wollte wissen, wie man sich hier in der Öffentlichkeit verhält, wie man sich kleidet." Sein zweites Leben sollte nach Plan beginnen und schließlich auch gelingen. Mojtaba Tavakoli war damit beschäftigt, Freunde zu finden und die westliche Kultur kennenzulernen. Rassismus glaubte er hinter sich gelassen zu haben.

Grenzgänger der Physiologie

Der junge Afghane absolvierte die Mittelschule in Mödling und eine HTL für Chemie in Wien. Im Jahr 2013 begann er dort Biologie zu studieren. Nach dem Bachelor war es vor allem Zufall, dass er das Ph.D.-Programm des IST Austria in Maria Gugging entdeckte. Denn im Programm ist der Master für eine Aufnahme nicht zwingend nötig. In der Gruppe von Johann Danzl beschäftigt er sich mit Technologien, die dabei helfen könnten, Vorgänge im Gehirn wie die Interaktion von Nervenzellen besser zu verstehen – mittlerweile gelangen Publikationen in angesehenen Journals wie Frontiers in Physiology.

Die Unterstützung, die er als Asylwerber in Österreich bekam, will er – mittlerweile österreichischer Staatsbürger – der Community zurückgeben. Nach einigen von Afghanen verübten Verbrechen kam es reflexartig zum Generalverdacht gegen alle seine Landsleute. Das soll sich nun ändern: Mojtaba Tavakoli ist einer der Mentoren der Interessengemeinschaft afghanischer Schüler:innen und Studierender IGASUS. Es geht darum, den Bildungsstand der Afghanen im Land zu erhöhen und sie bis 2030 zu selbstständigen Wirtschaftstreibenden zu machen. (Peter Illetschko, 26.10.2022)