Morrissey war schuld. Als er 2005 sein Album "Ringleader of the Tormentors" in Rom aufnahm, wollte ich unbedingt wissen, wo er eigentlich nächtigte. Der Anführer der Peiniger, wie er sich selbst laut Plattentitel wahrnahm, suhlte sich für seine Lieder im Lebensschmerz, nachts quälte er sich jedoch höchstens mit Daunendeckenballast. Er schlief wochenlang im Hotel de Russie, einem erdfarbenen Palazzo des frühen 18. Jahrhunderts, der gleich neben der Piazza di Popolo auf anspruchsvolle Gäste eingestellt ist.

Hinter der Pforte wartet ein todschickes Refugium aus Marmor, Glas und Edelhölzern. Jean Cockteau, Pablo Picasso und Igor Strawinsky haben in dem historischen Haus logiert, George Clooney ist angeblich Stammgast – wegen des traumhaften Privatparks von 3500 Quadratmetern, der sich im Innenhof erstreckt. Ich kann ihn verstehen.
Der britische Sänger bezog Quartier im linken Seitenflügel, eine Suite mit zwei separaten Zimmern – der Ausblick ist den vierstelligen Preis wohl wert. Man sieht auf die 150 Jahre alte libanesische Zeder, den gewundenen Kiesweg zwischen den Palmen, Orangen- und Zitronenbäumen und auf den Südrand der Villa Borghese, den innerstädtischen Park mit Ententeich und Kunstmuseum. Wenn Morrissey auf der Platte singt "Warm lights from the grand houses blind me", kann man sich vorstellen, wie er am Hotelfenster steht und das Sonnenlicht ihn von der ockergelben Mauer gegenüber blendet. Er denkt vielleicht an Pasolinis verzweifelte Vorstadt-Gestalten und lebt nach dem Gusto eines Genießers.

Für Tagesbesucher ist der Park nicht zugänglich, aber von der Strawinsky-Bar im Innenhof können sie ihn hervorragend studieren. Die feinen Wege, die den Hügel hinaufführen, die reifen Früchte, die im Sommer an den Bäumen hängen. Vor sich ein Glas Aperol Spritz, früher widmeten die Barkeeper der Schriftstellerin Taiye Selasi einen eigenen Wodka-Ingwer-Cocktail, der ist leider von der Karte verschwunden.
Ich setze mich bei jedem Besuch der ewigen Stadt so dicht wie möglich an diesen kleinen Park, entspanne mich vom Gewusel vor der Tür und denke an den armen Morrissey, der mich mittlerweile mit politischen Parolen peinigt. (Ulf Lippitz, 13.10.2022)
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