Sie gehören zu den spektakulärsten Experimenten, die jemals realisiert wurden, dabei handelt es sich im Grunde um nichts anderes als äußerst genaue Längenmessungen. Die Rede ist von den Gravitationswellenobservatorien Ligo und Virgo. In mehrere Kilometer langen luftleeren Röhren werden Laser zwischen Spiegeln hin- und herreflektiert. Winzige Längenänderungen, die sich im Bereich von einem Tausendstel des Durchmessers eines Protons bewegen, können so nachgewiesen werden – Änderungen, wie sie, sofern alle äußeren Einflüsse ausgeschaltet werden, nur durch eine Verzerrung des Raums selbst erklärbar sind.

2015 gelang während eines Testlaufs der beiden in den USA befindlichen Ligo-Detektoren erstmals eine solche Beobachtung. Der Auslöser: Gravitationswellen, die von der Kollision zweier Schwarzer Löcher verursacht wurden. Bereits zwei Jahre später wurde drei US-Forschern dafür der Nobelpreis verliehen.

Eine künstlerische Darstellung des Effekts, der für optische Teleskope unsichtbar bleibt. Nachweisbar ist nur die extreme Raumkrümmung selbst, die sich in Form von Gravitationswellen durchs All ausbreitet.
Illustration: AFP PHOTO /National Science Foundation/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet

Inzwischen gibt es ein drittes derartiges Observatorium, das Gravitationswellen messen konnte. Virgo, wie die Anlage genannt wird, liegt bei Pisa und bildet gemeinsam mit den beiden Ligo-Detektoren ein Netzwerk, das es erlaubt, die die Richtung der Gravitationswellensignale zu bestimmen und so die Beobachtungen mit den Daten von optischen Teleskopen zu vergleichen. Dieser Durchbruch wird zu Recht mit dem Übergang von Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu Farbaufnahmen verglichen. Es gibt nun einen völlig neuen Kanal, über den Informationen über das Universum gewonnen werden können.

In Kürze soll ein japanisches Observatorium namens Kagra dazustoßen, das sich aufgrund von technischen Schwierigkeiten verzögert hat. Sowohl Kagra als auch Virgo unterscheiden sich von den Ligo-Experimenten, was ihre Bauart angeht, vor allem in Bezug auf das Abschirmen der Detektoren gegen Vibrationen, die das Ergebnis verfälschen können. Allen gemeinsam sind die beiden im rechten Winkel zueinanderstehenden Tunnel, in denen Laser zur Interferenz gebracht werden – übrigens, abgesehen von Dimension und Genauigkeit, sehr ähnlich wie in den nach den Forschern Michelson und Morley benannten Interferometerexperimenten, die in den 1880er-Jahren die Existenz eines Mediums für Licht ("Äther") ausschlossen und damit die Grundlage für Einsteins Relativitätstheorie legten.

Seither sind direkte Beobachtungen über Schwarze Löcher möglich, deren namensgebende Eigenschaft ihre Dunkelheit ist. Zwar gibt es in ihrer Nähe dank der riesigen Gravitationskräfte immer wieder extrem energiereiche kosmische Ereignisse, die mit Teleskopen nachgewiesen werden können, doch Schwarze Löcher selbst bleiben für irdische Teleskope dunkel, was die Gravitationswellenbeobachtungen so wertvoll macht.

Gravitationswellenobservatorien bestehen aus zwei rechtwinklig zueinanderstehenden Röhren, in denen Laserstrahlen verlaufen, so wie hier bei Virgo, das sich in der Nähe von Pisa befindet.
Foto: The Virgo Collaboration

Zehn Milliarden Mal schnellere Rotation

Wieder sind es Ligo und Virgo gemeinsam, die für neue Erkenntnisse über Schwarze Löcher sorgen. In einer Studie im Fachjournal "Nature" beschrieb der Physiker Mark Hannam von der Universität Cardiff gemeinsam mit seinen Kollegen Charlie Hoy und Jonathan Thompson die Entdeckung eines direkt von der Relativitätstheorie vorhergesagten Effekts, der nur bei extrem schneller Rotation auftritt, in einem von den drei Detektoren aufgezeichneten Signal aus dem Jahr 2020. "Wir dachten immer, dass Schwarze Löcher dazu fähig sind", sagt Hannam. "Und seit dem ersten Nachweis von Gravitationswellen haben wir gehofft, den Effekt zu beobachten."

Das extrem schnell rotierende Schwarze Loch ist das größere der beiden und hat etwa die 40-fache Masse der Sonne. Es brachte die Rotation der beiden Schwarzen Löcher vor ihrem Verschmelzen zum Taumeln. Der physikalische Ausdruck dafür ist jener der Präzession. Es ist der Effekt, der sich bei einem Kreisel beobachten lässt, dessen Rotationsgeschwindigkeit nachlässt. Die Achse beginnt selbst, einen Kreis zu beschreiben.

Die durch die Relativitätstheorie beschriebene Präzession funktioniert anders. Schon vor Einstein wurde der Effekt bei der Bahn des Merkur beobachtet. Die Ellipse, auf der er sich um die Sonne bewegt, dreht sich bei jedem Umlauf ein klein wenig mit. Diese Präzession durch die Raumkrümmung in der Nähe der Sonne erklären zu können war einer der ersten großen Erfolge der Relativitätstheorie.

Doch auch starke Rotation erzeugt aufgrund relativistischer Effekte eine Präzession. Der Vorgang ist von anderen kosmischen Objekten bekannt. Systeme aus zwei einander umkreisenden Pulsaren zeigen Präzession, wobei das System der am schnellsten rotierenden Vertreter einmal in 75 Jahren einen Kreis beschreibt. Bei den nun gefundenen Schwarzen Löchern geschah das mehrmals in jeder Sekunde. Konkret ist das zehn Milliarden Mal schneller als in allen bisher beobachteten Paaren von Schwarzen Löchern, von denen es inzwischen immerhin über 80 gibt.

Die stärksten regelmäßig auftretenden Gravitationswellensignale stammen von kollidierenden Schwarzen Löchern, wie hier in einer Darstellung, die ihren Einfluss auf die Raumkrümmung zeigt. Wer genau hinsieht, kann die Verzerrung des Raums abseits der Schwarzen Löcher sehen, die sich in Form von Gravitationswellen auf der Erde nachweisen lässt.
Caltech Ligo

"Der Effekt ist extrem schwer nachzuweisen", freut sich Hannams Kollege Thomson über die Entdeckung. "Er ist äußerst schwach und ist in einem ohnehin schon schwachen Signal verborgen."

Stimmen die Modelle?

Die Rotationsgeschwindigkeit des einen Schwarzen Lochs ist dabei so extrem, dass sie Fragen aufwirft. Bisher gefundene Schwarze Löcher rotierten eher langsam. Die nun nachgewiesene Rotation ist so schnell, dass sie sich in der Nähe des physikalisch möglichen Maximums befindet. Das sollte nur äußerst selten vorkommen, nur in einem von tausend Fällen. Der Fund ist also entweder äußerst glücklich, könnte aber auch darauf hindeuten, dass mit den Theorien zur Formation von Paaren Schwarzer Löcher etwas nicht stimmt.

Der japanische Gravitationswellendetektor Kagra. 2023 soll er Teil des Netzwerks von Gravitationswellenobservatorien werden.
Foto: imago images/Kyodo News

Geplante Umbauarbeiten an den bestehenden Gravitationswellendetektoren und das Dazustoßen der japanischen Kagra-Kollaboration könnten hier mehr Klarheit schaffen. Dadurch soll die Zahl der beobachteten Gravitationswellensignale drastisch erhöht werden. 2023 sollen Beobachtungsläufe mit höherer Genauigkeit starten, an denen alle vier Observatorien teilnehmen. Dann wird sich feststellen lassen, wie selten so extreme Schwarze Löcher wirklich sind. (Reinhard Kleindl, 13.10.2022)